Initiativen/Stadtleben

Vollkontakt. Fuck yeah.

Rollerderby in Karlsruhe.

„Jeder, der anfängt, kann es erst mal nicht“.

Roller Derby ist ein vom Engagement der Spieler*innen durch die Zeiten geretteter Kontaktsport auf Rollschuhen. Das anfängliche Konzept eines Bahnrennens, abgeleitet von den um 1935 als Unterhaltung veranstalteten Sechs-Tage-Rennen auf Rollschuhen, und die Regel, von jedem Team müsse sich mindestens ein*e Spieler*in auf der Bahn befinden, resultierten in der Strategie, die Gegner körperlich zu behindern, aus der Bahn, dem sogenannten Track, zu drängen und somit zu disqualifizieren.

„Flieg halt.“

Corinna Markert – aka Ginger Pain – ist bei den RocKarollers zuständig für Workout und Warm-up.  Quälgeist offskate, erklärt die Studentin der Physio- und Psychologie auf der Hinfahrt. Offskate liegt an einem krassen Unfall, der sie viel zu lange an den Rollstuhl band. In der Reha gab es von den Kolleginnen Support, obwohl sie noch gar nicht offiziell Teil der Mannschaft war.  Im Rollerderby geht es eher derbe zur Sache, die Jammerin muss durch die gegnerische Wall. Mit „you can do it“ allein ist es da oft nicht getan. Quälgeist ist also eher eine ironische Einstellungsfrage, no pain – no gain. In der Woche werden drei Trainingseinheiten angeboten, nebst Konditions- und Kontakttraining setzt sie da auch auf die mentale Haltung.

Mein Interesse wird Bewunderung, als wir über ihre Einstellung sprechen. In der Reha galt es für Markert, nicht nur körperlich wieder aufzustehen. Das allerdings war eben lange nicht möglich, also musste ein neues Credo her. „Wenn du nicht laufen kannst, flieg halt.“ Mittlerweile also bringt Ms. Body und Mental Coach dem Haufen „Alphaweibchen“ bei, wie man sich wieder aufrichtet, arbeitet an Ausstrahlung und ist auch ohne Rollen unter den Füssen eine wichtiges Element der Karlsruher Erfolgsgeschichte RocKArollers.

„Von sich aus.“

Olaf Leichsenring nennt sich Steisskerl. Als „Anhang“  2012 dazugekommen und seit 2015 auch auf eigenen Rollschuhen aktiv , ist er seit 2017 ehrenamtlicher Coach der Karlsruher Rollerderby-Damen.
Seine Aufgabe ist es, Strukturen zu erkennen und in ein sportliches Miteinander zu verwandeln. Immerhin spielen die RocKArollers in der zweiten Bundesliga gegen Teams aus dem gesamten Bundesgebiet und wollen noch höher hinaus. Im Team ist mit „Effi Biest“ eine Nationalspielerin vertreten, der „Könich“ hat als Referee einen so hohen Stellenwert in der weltweiten Community erlangt, daß er eingeladen war, im Ursprungsland des Sports zu pfeifen.
Aus der Frage „Was können die?“ leitet sich auch die Verantwortung ab, alle mitzunehmen, die wollen. Da müssen manche erst zu Sportler*innen werden wollen, bevor sie Teamsport trainieren. Im Training wird jeder die Zeit gegeben, die gebraucht wird. Aus diesem Prozess entsteht das „Was kann ich?“ und „Das kann ich!?“ und die Erfahrung stellt sich ein, daß eben viele mehr können, als sie geglaubt haben. “Mindset me” ist Thema und Wurzel der , bereichert das Verhalten auf dem Track und daneben.

Natürlich erwacht im Ablauf der Selbstentdeckung auch mal die Erkenntnis, daß der mittlerweile professioneller und stärker wettbewerbsorientierte Betrieb auf dem Track nicht das Richtige für die Einzelne ist. Aber eben auch nicht das Einzige. Wo die Siegermentalität in anderen Branchen aussortiert, liegt hier das Geheimnis dieser blaugefleckten Orchideendisziplin . Die RocKArollers wollen integrieren. Du kannst mitmachen und Menschen kennenlernen, egal, ob du Kuchen vercheckst oder Punkte zählst. Also alle an Bord? Wir werden sehen.
Überlebt hat dieser Sport seine unsicheren Zeiten zwischen 70er und 90ern nur auf Grund des nicht anders als kämpferisch zu bezeichnenden Engagements der Gläubigen an das kultivierte Streiten auf der Rollbahn. Es waren die Rockabillies und Punkvorläufer, denen der sozusagen als Almosenempfänger einer „besseren Gesellschaft“ zugewiesene Raum im langsam aufkeimenden Kapitalismus nicht genug war. Sie haben mit ehrenamtlicher Verantwortung das Gerüst für den heutigen Erfolg am Leben gehalten und sind mit ihren Idealen einer gemäßtigen Wirtschaftlichkeit und Solidarität unter Außenseitern immer noch die treibende Genetik der Sportart.
Feminismus an sich ist sicher kein Streitthema unter den Vereinen, die Frage, ob und wie Männer integriert werden, jedoch auf jeden Fall. Dass der Gedanke einer „safe zone“ nicht aus der weiblichen Fantasie, sondern leider aus dem dünnen Unsicherheitshimmel einer männlichen Wegbeißkultur abgeleitet werden musste, steht nun, da manche Männer sich klar als Feministen identifizieren, in all seiner Komplexität im Raum. Der Negativraum eines männlich dominierten Sportmarketings erzeugt hier übrigens eine durchaus fröhliche Gelassenheit seitens der Männlichen Begleiter. Spielfeldaufbau, Ref oder Coach – klassische Rollen für die Männer hier.
Beim Bout in Mannheim wanderte mein Blick immer wieder über das Publikum. Gestreift und immer länger hängengeblieben ist er an und in einem Generationenmix zwischen Instagram und Augsburger Puppenkiste. Die Hütte war voll, laut und lebendig, ohne die aus den Fußballkurven bekannten Aggressionen. Da saß die Jeansweste neben der Steppjacke, teilten sich Punk und Prinzessin das Bier. Im Merchandising, womit sich viele der Vereine Reisekosten und Material sichern, liegen nebeneinander die Buttons der „gegenerischen“ Teams und genauso selbstverständlich Menstruation Cups.  Keine falsche Bescheidenheit, die Mitarbeit an einer besseren Zukunft sieht genauso aus – Tabus schaden, Kontakt normalisiert.
Wir Besucher dürfen denen dankbar sein. Im Durch- und Nebeneinander ist ein abwechslungsreiches System entstanden, in dem sowohl verborgene als auch direkte Talente unvoreingenommen als Bereicherung wahrgenommen werden darf. Geilerweise verinnerlicht das kultivierte Streiten ein Lautsein genauso wie das Leise, das Gleiche und das Andere. Das rockt. Geht mal hin.

Am 16.Dezember, zum Beispiel. Da ist in der Rheinstrandhalle das letzte Heimspiel der RocKArollers, die Druckschrift ist auch am Start, wir dürfen unser traditionelles „Druckfrisch & DU“ integrieren. Bääm. Wir freuen uns auf euch!

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