Am 19. September 2014 wurde der sogenannte Asylkompromiss der großen Koalition vom Bundesrat bestätigt. Die entscheidende Stimme, also die Rolle des Züngleins an der Waage, hatte dabei die der grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg. Der Beschluss beinhaltet neben der Abschaffung der Residenzplicht nach dem vierten Monat, Zugangserleichterungen zum Arbeitsmarkt, den Vorrang von Geldleistungen gegenüber Sachleistungen und finanzielle Entlastungen von Kommunen. Schritte oder Schrittchen in die richtige Richtung, könnte man meinen. Allerdings enthält das Gesetz auch eine Neudefinition sogenannter „sicherer Länder“. Konkret bedeutet das, dass Flüchtlingen aus Serbien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und dem Kosovo künftig kein grundsätzliches Asylrecht mehr zugesprochen wird, was die Ablehnung von Asylanträgen beschleunigt und Abschiebungen erleichtert. Die „Balkanflüchtlinge“ stellen, laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), nach den syrischen Flüchtlingen (29%) mit etwa 28% der 200.000 erwareten Flüchtlinge in 2014 nach Deutschland, die zweitgrößte Gruppe dar. Im Wesentlichen geht es hierbei um Sinti und Roma, die in ihren Herkunftsländern starker Diskriminierung und Anfeindung ausgesetzt sind und kein sicheres Heimatland haben. Die Zustimmung zu diesem Gesetz wird von Befürwortern wie Ministerpräsident Kretschmann (Die Grünen) unter anderem damit begründet, dass man sich stärker auf die Flüchtlinge, die „es am meisten brauchen“, konzentrieren und man die Bereitschaft der Bevölkerung Flüchtlinge aufzunehmen nicht riskieren wolle. Über Hilfsinitiativen vor Ort sei man „sehr froh“, sie würden gebraucht, so Kretschmann in einem Interview mit der Welt.
Die Willkommenskultur in Karlsruhe
Die Flüchtlingshilfe Karlsruhe, ein Zusammenschluss verschiedener Gruppen und Einzelpersonen, unterstützt die ankommenden Flüchtlinge ohne Unterscheidung ihrer Herkunft. Sie initiierte eine Spendensammlung, bei der über 3000 Kartons mit Kleidung und Alltagsbedarf für die Vielzahl der Zugewanderten gesammelt wurden, und engagiert sich für zusätzliche Betreuung in den Notunterkünften. Diese Hilfe ist, angesichts der laut ARD erwarteten 23.000 Flüchtlinge in Baden-Württemberg in 2014 bitter nötig. Denn die Kapazitäten der staatlichen Einrichtungen reichen bei Weitem nicht aus. Die Landeserstaufnahmestelle (LEA) in Karlsruhe bietet mit seiner Außenstelle in Mannheim insgesamt lediglich 2.700 Menschen Platz (Quelle: Ministerium für Integration Baden Württemberg). Hinzu kommen improvisierte Notunterkünfte mit, laut Flüchtlingshilfe, etwa 1.800 Betten. Die Versorgung dort ist in vielen Fällen mangelhaft und die Verteilung der zahlreich eingehenden Spenden aus der Bevölkerung stellt eine große logistische Herausforderung dar, mit der die Flüchtlingshilfe alleine nicht umgehen kann.
Darüber hinaus macht die Flüchtlingshilfe verschiedenste Angebote, die sie als Teil der Willkommenskultur versteht. Amnesty International bietet wöchentliche Rechts- und Verfahrensberatung im Menschenrechtszentrum an, die AWO hat eine Patenschaft für die Unterkunft in Durlach-Aue übernommen, der Verein „Freunde für Fremde“, organisiert Deutschkurse und Kinderbetreuung sowie Teestuben und Willkommens Cafés im Internationalen Begegnungszentrum, KIT-Angestellte planen ein Projekt mit Freizeitaktivitäten für Bewohner der Notunterkunft in der Mackensen-Kaserne, um nur einige Beispiele zu nennen.
Diese Angebote sind richtig und wichtig, aber an erster Stelle muss eine Grundversorgung sichergestellt werden. Die von der Politik geforderte Bürgerinitiative kann hier eine wichtige Rolle spielen und für Flüchtlinge einen wichtigen Rückhalt bieten, um das Zurechtfinden in der neuen Umgebung zu erleichtern. Die Unterkünfte, Lebensmittel, Kleidung und Geld für den Lebensbedarf bereit zu stellen, ist aber Aufgabe und Verantwortung der Bundesländer.
Es ist darum dringend notwendig, dass die Landesregierung ihre Aufgabe wahrnimmt und für eine angemessene Versorgung der Flüchtlinge sorgt. Unserer Meinung nach ist Voraussetzung dafür eine klare Politik für die Aufnahme von Flüchtlingen ohne Kompromisse.
Die vielen ehrenamtlichen Helfer, die allen Flüchtlingen ohne Unterscheidung nach Herkunftsland mit offenen Armen begegnen, machen deutlich, dass die humanitäre Einstellung zur Flüchtlingsfrage in Teilen der Gesellschaft derjenigen der Politik weit voraus ist.
Wer sich auch für Flüchtlinge engagieren möchte oder Beratung in diesem Bereich braucht, kann sich an die Flüchtlingshilfe Karlsruhe wenden.(bh)