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Die Vision einer sozialen Stadt – Stadtplanung und freie Kultur

In Reih‘ und Glied – Karlsruher Kreativwirtschaft in „Perfekt Kultur“. (Foto: Hochschule Karlsruhe)

Fahrradhauptstadt, Internethauptstadt, Kulturhauptstadt? Karlsruhe unternahm in den vergangenen Jahren einige Versuche, der Stadt eine Identität zu geben. Ist Karlsruhe mit 40.000 Studierenden eine „Studentenstadt“, machen 4.200 Unternehmen aus der Informationstechnologie und das KIT Karlsruhe zur „Technologiestadt“, bestätigen die mehr als 20.000 Angestellten im öffentlichen Dienst das Bild der „Beamtenstadt“ oder machen über 10.000 Beschäftige in der Kreativwirtschaft und 8.000 Studierende in diesem Bereich Karlsruhe zur „kreativen Stadt“?

Mit der Vision einer „sozialen Stadt“ versucht der Verein „die Anstoß e.V.“, die verschiedenen Bereiche zu verbinden. Der Verein wurde 2014 gegründet, um den Stadtplanungsprozess sozial und inhaltlich zu begleiten und zu bereichern. Im Mittelpunkt ihres Konzepts steht dabei die Schaffung von kreativen, öffentlichen Begegnungsräumen als „drittem Ort“ neben Wohnung und Arbeitsplatz. Solche Orte des „sozialen Zuhauses“ sieht der Stadtsoziologe Ray Oldenburg als Indikator für das öffentliche Leben in städtischen Gemeinschaften.

In ihrer Analyse Karlsruher Orte und Plätze sieht „die Anstoß e.V.“ diesbezüglich deutliche Defizite. Als Beispiel nennt Jaro Eiermann vom „die Anstoß e.V.“ den zentralen Platz um das Schloss, der mit dem öffentlich nicht zugänglichen Bundesverfassungsgericht und dem monofunktional genutzten wirtschaftlichen Institut des KIT von „urbanen Sperrzonen“ umschlossen ist. Weiter südlich folgen ein großer Verwaltungskomplex und eine „rein konsumorientierte Innenstadt“. „Die Stadt besteht aus Inseln verschiedener Szenen, mit unserem Konzept wollen wir Karlsruhe nicht nur für ein Milieu, sondern für alle lebenswerter machen“, erläutert Jaro Eiermann. Stattdessen sollen nach ihrem Konzept öffentliche, multifunktionale, spontane, informelle und kommunikative Orte und Räume Schnittstellen und Verbindungen zwischen Wissenschaft, Kultur, Politik und anderen Bereichen schaffen. Entscheidend dafür ist nach Oldenburg ein „Charakter“ dieser Räume, die Identifikation und Verbundenheit der Nutzenden mit dem Ort schafft. Dafür sieht Oldenburg vor allem die Betreibenden verantwortlich, die mit Individualität, Originalität und Persönlichkeit diese besonderen Orte schaffen können.

Als solch sozialen Entwicklungsmotor sieht „die Anstoß e.V.“ die freie Szene, die aktuell aber „durch zu viel Regulierung an ihrer Entfaltung gehindert“ werde. Zwar gibt es hochkulturelle Leuchttürme und kreative Hochschulen, doch gerade für diese Studierenden kaum Möglichkeiten, sich während ihres Studiums kulturell auszuleben, so Christian Hennig vom „die Anstoß e.V.“. Stattdessen ziele die Stadt in ihrer Kulturpolitik vor allem auf die wirtschaftlich verwertbare Kreativwirtschaft. „Die Stadtverwaltung versteht nicht, dass aus freier Szene auch Kreativwirtschaft entstehen kann und will einen Schritt überspringen“, erklärt Christian Hennig. Dies zeige sich am Alten Schlachthof. Statt Selbstorganisation und der freien Szene einen Raum zu geben, liege hier der Schwerpunkt auf der Förderung der Kreativwirtschaft, die keinerlei öffentliche Wirkung im Sinne des „dritten Orts“ entfalten könne. Dagegen betont Susanne Asche, Leiterin des Kulturamts, dass dem Aspekt der Selbstorganisation bei der Planung zum Existenzgründerzentrum „Perfekt Futur“ mit vielen „Möglichkeiten und Orten der Begegnung“ besonders Rechnung getragen wurde. So entstünden „immer wieder Ideen“ zwischen den Nutzenden des aus 68 Seefrachtcontainern bestehenden Komplexes, der vom Kulturbüro, der Wirtschaftsförderung und der städtischen Fächer GmbH verwaltet wird.

Doch bestehende Räume sollen nach den Wünschen von „die Anstoß e.V.“ nicht nur experimenteller,  multifunktionaler und öffentlicher genutzt werden, überhaupt steht die freie Kultur derzeit vor der Herausforderung, Räume für Arbeit und Veranstaltungen zu finden. Karlsruhe wächst, und während Nachfrage und damit auch die Preise für Räume steigen, sinkt das Angebot insbesondere an preisgünstigen Räumlichkeiten immer weiter. Um dem zu begegnen, versucht das Kulturamt mit dem Kulturkonzept 2025, das Ende letzten Jahres vom Gemeinderat verabschiedet wurde, für die Berücksichtigung kultureller Aspekte in städtebauliche Planungen und bei anderen Einrichtungen zu werben. Bei der Schaffung von Räumen unterstütze das Kulturamt freie Träger wie das „Substage“ bei Baumaßnahmen und berate bei der Suche nach Räumen in vielfältiger Weise, so Susanne Asche. Darüber hinaus sollen mit dem seit mehreren Jahren laufenden Leerstellenmanagement leer stehende Räume für eine kulturelle Nutzung erschlossen werden. Das Angebot hier ist aber auch gering, da viele private Eigentümer nicht in Karlsruhe wohnten und ihre Flächen daher lieber leer stehen ließen, beklagt sie.

Hoffest der Halle 14 im September 2013 (Foto: Moritz Schröder)
Hoffest der Halle 14 im September 2013 (Foto: Moritz Schröder)

Von den Problemen bei der Suche nach kulturellen Räumen weiß auch der „Panorama e.V.“ zu berichten. Zwischen 2011 und 2014 unterhielt der Verein die „Halle 14“ im Rheinhafen mit mehreren Proberäumen und Ateliers für etwa 40 Künstlerinnen und Künstler sowie einem Vereinsraum, in dem mehr als 100 Veranstaltungen stattfanden. Anfang 2014 musste die „Halle 14“ schließen, da aufgrund des Verbots kultureller Nutzung im Bebauungsplan aus dem Jahr 1985 die geplanten Brandschutzmaßnahmen nicht umgesetzt werden konnten. „Wir haben seither über ein Jahr gesucht und mehrere Objekte angeschaut, doch entweder waren wir für die Umgebung zu laut oder die Hallen lagen in Gebieten, in denen der Bebauungsplan eine kulturelle Nutzung nicht zuließ“, berichtet Thomas Klein vom „Panorama e.V.“. Auf Nachfrage konnte die Stadt Karlsruhe bis Redaktionsschluss nicht sagen, aus welchen Gründen die kulturelle Nutzung in den meisten Gewerbe- und Industriegebieten ausgeschlossen wurde und welche Gebiete davon nicht betroffen sind.

Aktuell steht das Gebiet südlich des Hauptbahnhofs vor einer städtebaulichen Umstrukturierung. Im Herbst 2014 kaufte die Stadt Karlsruhe das Areal und plant dort, die „Visitenkarte Karlsruhes“ zu errichten. Hiervon sind auch 25 preiswerte Ateliers betroffen, die den Bauplänen weichen müssen. Den Betroffenen seien vom Kulturamt wiederholt andere Räume angeboten worden, die diese aber abgelehnt hätten, erklärt Susanne Asche. Eine Alternative stehe für sie daher derzeit nicht zur Verfügung. „Wir konnten sie nicht annehmen“, antworten diese. Entweder seien die angebotenen Räume „für die eigene Arbeit ungeeignet“ gewesen oder hätten „unsere wirtschaftlichen Möglichkeiten bei Weitem überstiegen“, so die Stimmen aus den Ateliers. Inwieweit kulturelle Belange in der Planung des neuen Areals berücksichtigt werden, konnte Susanne Asche nicht sagen, da sie bislang in die Planungen nicht eingebunden sei. Ihre Nachfrage bei der Wirtschaftsförderung ergab, dass dort „bisher noch keine kulturelle Nutzung vorgesehen ist“. Die Vision von „die Anstoß e.V.“ sieht für das Gebiet ein „öffentliches Experimentierfeld für eine partizipative Stadtentwicklung“ der freien Szene vor. Dass dies umgesetzt wird, scheint mehr als fraglich. Zu stark scheinen wirtschaftliche Erwägungen die Stadtplanung zu bestimmen.

die Anstoß e.V.

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