Initiativen/Interview/Stadtleben

Get in

Der beste Ort in Karlsruhe

Am südlichen Ende der Kriegsstraße, zwischen Innenstadt und Südstadt, befindet sich das get IN. Das get IN ist eine Anlauf- und Kontaktstelle für Drogengebraucher*innen und Teil des Suchthilfeprogramms der AWO Karlsruhe gemeinnützige GmbH*. Als ich reinkomme, stelle ich mich den drei Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen vor, die hinter der Theke stehen, und setze mich auf das Sofa. Abgesehen von uns ist da noch ein älterer Mann, der am Nachbartisch Kreuzworträtsel löst. Es riecht nach Zigarettenrauch. Ein Mitarbeiter kommt zu mir, stellt sich als Eric vor und bietet mir einen Kaffee an. Aus dem anderen Raum höre ich Stimmen, im Hintergrund läuft laut Radio. Ein Mann von draußen kommt rein und fängt an zu erzählen.

DS     Als Drogengebraucher*in zählt wer?
PK    Menschen, die illegale Substanzen konsumieren. Also alle Substanzen, die es gibt. Unser Klientel ist vorrangig opiatabhängig und hat oftmals Beikonsum.
DS    Kommen Leute im Rauschzustand her?
PK    Selbstverständlich. Wir können ja keine Einrichtung für Drogengebraucher*innen haben und sagen, nee, du musst jetzt aber nüchtern kommen. Insofern sind natürlich alle Leute, die hierher kommen, mehr oder weniger intoxikiert. Und das ist auch gut, weil wir das dann beobachten können und auch intervenieren könnten, falls es einen Notfall gäbe.
DS    Und die Mitarbeiter*innen vorne sind auch Sozialarbeiter*innen?
PK    Wir haben ein ganz kleines Team. Sozialarbeiter*in sind mein Kollege und ich, dann haben wir eine Hauswirtschafterin und ein bzw. eine FsJler*in.
DS     Sind immer die gleichen Leute hier?
PK    Ja. Was auch ganz wichtig ist für unsere Besucher*innen, weil das hier so eine Art Wohnzimmer ist, wo man in Ruhe gelassen werden kann. Das heißt, man kann hier auch nur einen Kaffee trinken, Mittag essen oder Wäsche waschen.
DS    Was bietet das get IN und welches Interesse hat die AWO?
PK    Die AWO hat die Einrichtung seit 1994. Das ist historisch gewachsen aufgrund der damaligen Situation für Drogenkonsumenten und -konsumentinnen, als man eine soziale, körperliche Verelendung festgestellt hat. Dann wurde dieser Kontaktladen eröffnet, um dem etwas entgegenzusetzen: Einerseits Basisunterstützung im Überleben in der Sucht, andererseits schadenminimierende Maßnahmen wie das Angebot hier. Ein ganz wichtiger Bestandteil ist Spritzentausch. Wenn Besucher*innen mit gebrauchten Spitzen kommen, bekommen sie sterile Spritzen und Nadeln zurück. Das dient natürlich der HIV und Hepatitis C Prophylaxe. Auch Kondome werden herausgegeben. Neben der Schadensminimierung bieten mein Kollege und ich individuelle Hilfe an, wie zum Beispiel Unterstützung bei Papierkram, mit der Staatsanwaltschaft, mit allem, was das Leben so bietet. Natürlich hat das ganze auch einen ordnungspolitischen Aspekt. Man möchtediese Anbindung an die Einrichtung, dass die Menschen sich Unterstützung holen. Wir sind eine niedrigschwellig-akzeptierende Einrichtung. Niedrigschwellig heißt, Sozialarbeit ist präsent, du brauchst keinen Termin. Du kannst hier reinkommen und sagen, Petra, hast du Zeit?

Das get IN hat vorne einen Café- und hinten einen Aufenthaltsbereich. Das Café ist etwa 25m2 groß, hell und offen, Wände und Theke sind in warmen Farben gehalten und bunte Lampen hängen von der Decke. Es gibt drei Tische mit Platz für je vier Personen. Die Stühle sind aus silbernem Metall, mit roten und grauen Sitzkissen, und an der Wand steht ein Sofa mit grauem Lederbezug. Rechts hängt ein Blumengemälde, links ein Buddha-Bild. In der Ecke und an den Fenstern stehen viele und große Grünlilien, laut Eric besonders luftreinigende Pflanzen. Außerdem gibt es einen Bücherschrank und einen Kühlschrank, der ab und zu von der Tafel gefüllt wird. Hinter dem Café befinden sich Dusche, Toilette und Waschraum. Dahinter kommt der Aufenthaltsraum mit Fernseher und PC, Küchenzeile und Schrank. Ganz am Ende des Ganges liegt das Büro von Petra und Eric.

DS     Es gibt hier also keine Verpflichtung, irgendeine Art von Beratung zu durchlaufen. Was bei anderen Anlaufstellen ja schon so ist, dass, wenn man eine Therapie macht, muss man eine gewisse-
PK    Motivation haben. Der wichtigste Faktor bei einer Therapievermittlung ist die eigene Motivation. Wenn ich eine Beratungsstelle in Anspruch nehme, kann es natürlich im Einzelfall sein, dass ich Druck habe, zum Beispiel vom Bewährungshelfer, von der Staatsanwaltschaft. Hier passiert alles auf Freiwilligkeit. Wenn mir jemand sagt, ich finde das cool, wie ich lebe und ich mag Drogen und ich möchte die auch nehmen – Ja, okay, dein Weg, den du gehst. Wenn du rauswillst, kann ich dir helfen, zumindest formal, in dem ich mit dir Entgiftungs- und Therapievermittlung mache und Therapievorbereitungsgespräche. Wir legen viel Wert drauf, dass die Menschen hier wertgeschätzt werden, so wie sie sind. Wir begrüßen jeden, wir sagen zu jedem Tschüss. Wenn jemand länger weg war, dann fragt man nach. Das, was ganz normal und alltäglich ist, erleben unsere Besucher*innen oft gar nicht, weil viele nur ganz wenige Sozialkontakte haben und noch seltener drogenfreie. Die Beziehungen unter Drogenabhängigen sind oftmals drogenbedingte. Ja, ist ein hartes Leben, und hier hast du einfach deine Ruhe. Hier brauchst du auch nicht deinen Namen sagen, also deinen echten. Ansonsten haben wir eine Du-Kultur, ist auch ein Türöffner. Zudem legen wir großen Wert drauf, dass jeder weiß, dass er oder sie sich hier drin sicher fühlt, und wer neu herkommt, zu dem ist das immer das erste, was wir sagen: Alles, was hier drin gesprochen wird, bleibt auch hier drin. Doch es gibt natürlich Hausregeln: Kein Handel, kein Konsum, keine Gewalt. Wenn jemand zuwider agiert, kriegt die Person Hausverbot. Nicht für immer, aber schon für eine Zeit, denn, das können und dürfen wir nicht dulden, dass hier irgendwas mit Drogen geht.
Der Mann, der das Radio übertönt, setzt sich zu mir (stör ich dich?) und erzählt mir von dem Film, den er gestern in der Schauburg gesehen hat, dann von anderen Filmen. Er erzählt auch, dass er momentan im Erfrierungsschutz nebenan übernachtet und fast täglich ins get IN kommt. (Bist du alleine? – Ja. Und Sie? – Was, Sie? – Na, du. – Mein ich doch. Ja, klar. Für was schreibst du denn? Für deinen Blog?) Er kennt meine Hochschule, hat dort Flaschen gesammelt, weiß den Wert jeder Flasche und wo man sie abgeben kann. (Hast du mal was genommen? – Schon. – Und was?) Er holt sich ein paar Kekse von der Theke, und erzählt weiter, während ich auf meinen Zettel kritzele. (Sag mal den letzten Satz, den du aufgeschrieben hast. – Die Wände sind braun. – Ach, nicht wichtig! – Was findest du denn wichtig? – Die Leute sind wichtig.) Er hat mal hier und dort gewohnt, bis das Geld aufgebraucht war, und dann auf der Straße. (Für mich ist das der beste Ort in Karlsruhe.) In eine andere Stadt will er nicht mehr gehen, müsste sich dort alles neu erschließen. (Und im Sommer willst du wieder nach draußen? – Nee. Ich habe ganz schön abgebaut.) Dann bin ich es, die den Alkoholkonsumraum in der Schützenstraße anspricht. (Im Ernst, den gibt es schon? Seit wann gibt’s den? – Seit 2, 3 Monaten? – Aha. Na, da gehe ich nicht hin, ich trinke ja nicht. Habe ich noch nie gerne.) Kurz bevor ich los muss, zeigt er mir noch den Hinterraum. (Und da ist die Küche? – Genau, und da ist die Köchin.) Wieder im Café schütteln wir uns die Hände, ich danke Eric für meine Tasse Tee und gehe schließlich mit einer halben Seite Notizen aus der Tür.

DS    Was gibt es noch für Angebot der Suchthilfe?
PK    Es gibt vielfältige Angebote. Es gibt viele substituierende Ärzte, wenn man medikamentöse Unterstützung braucht, es gibt Arbeitsprojekte innerhalb der AWO, wo man, über das Jobcenter vermittelt, auch als Drogenkonsument oder -konsumentin einer Arbeit nachgehen kann. Hier bei uns sind in der Regel ALG2-Bezieher*innen, die schon lange, wennüberhaupt mal gearbeitet, aus dem Job raus sind und oft keine Schulausbildung geschweige denn eine Berufsausbildung abgeschlossen haben. Das sind Menschen, die von ihrer Biografie her Brüche haben, die vielleicht mal eine Lehre angefangen haben, dann ging es schon los mit Kiffen und Alkohol und sie haben die Lehre nicht fertig gemacht. Dann ging es weiter mit anderen Drogen und sie haben keinen Einstieg mehr gekriegt in irgendeinen Job. Dann haben sie keinen Führerschein, was sie heute auf dem Bau, da haben früher viele gearbeitet, brauchen. Du kannst keine Qualifizierung nachweisen, du hattest vielleicht einen Haftaufenthalt, du warst vielleicht mal in Therapie. Das ist das Leben von vielen unserer Besucher*innen. Da ist es ziemlich unrealistisch mit 40 oder 50 noch einen Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt zu finden. Das ist ja bei qualifizierten Menschen manchmal schon schwierig in dem Alter. Aber natürlich gibt es Angebote – die Frage ist, willst du das annehmen.
DS     Woran liegt das, dass Angebote nicht angenommen werden?
PK    Das kann man so pauschal nicht sagen, weil die Vita eines jeden so individuell ist. Es besteht oft neben der Suchterkrankung noch eine psychiatrische Erkrankung. Da fehlt’s an Frustrationstoleranz, an Durchhaltevermögen, an Kritikfähigkeit. Das sind vielfältige Gründe, warum das nicht klappt, auch Stigmatisierung. Was verbindest du denn damit, wenn du darüber nachdenkst? Erstens mal kriminell, das ist so ziemlich das erste, was den Bürger*innen oder wem auch immer einfällt: Das sind bestimmt Kriminelle und die klauen und die sind ungepflegt. Es ist ein hartes Leben, ein schweres Leben. Und wenn du da einmal aus der Bahn bist, ist es sehr schwer wieder zurückzukommen.

Wir unterhielten uns mit Petra Krauth (PK ) von der AWO. Die Fragen für die Druckschrift (DS ) stellten Miki Feller & Johanna Schäfer. *Kontakt und Informationen zum Angebot der AWO Karlsruhe finden sich hier:

www.awokarlsruhe.de

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