Druckschrift

Hallo in Halle

Jubiläumsfeier unserer Partnerzeitschrift

Willkommen in Halle (Foto: Marianne Heukenkamp)

Donnerstag, 30.11.2017, 14:04 Uhr. Nach gut fünfstündiger Zugfahrt erreiche ich endlich Halle an der Saale. Der Hauptbahnhof Halle wirkt trist, zuvor war ich noch am im Licht der weihnachtlichen Dekoration erstrahlenden Leipziger Hauptbahnhof umgestiegen. Zu Fuß Richtung Innenstadt, auf der Leipziger Straße reiht sich ein 1-€-Shop an den nächsten bis ich zum Leipziger Tor komme. Dort weist mir ein freundlicher junger Mann vom Coffee-Bike den Weg zum Marktplatz. Aus dem festlichen und gut besuchten Weihnachtsmarkt springt sofort die Kirche mit ihren zwei unterschiedlichen Turmpaaren ins Auge. Ursprünglich standen dort die beiden Kirchen St. Gertruden, aus dem 11. Jahrhundert und die spätromanische St. Marien Kirche, bis Kardinal Albrecht von Brandenburg beschloss, daraus ein Bollwerk gegen reformatorische Entwicklungen zu machen, wie mir berichtet wird. Die alten Kirchenschiffe wurden abgerissen und die Turmpaare der Vorgängerkirchen durch ein spätgotisches Kirchenschiff zur Marktkirche verbunden. Direkt davor steht der „rote Turm“, der mir als „Bürgerstolz“ vorgestellt wird, da er von halleschen Bürger finanziert worden sei, um, so erfahre ich, den Prunkbau des Kardinals in den Schatten zu stellen. Eine von vielen Anekdoten, die mir bei meinen Stadtführungen zugetragen werden. Darin hängt eines der größten Glockenspiele der Welt, das zu den halleschen Händelfestspielen 1999 installiert wurde. Ein Großteil der Glocken wurde in Karlsruhe gegossen.

Vom Markplatz aus sind es noch ein paar Minuten bis zur „Goldenen Rose“, dem ältesten Gasthaus Halles, wo heute das fünfjährige Jubiläum der „Halleschen Störung“ gefeiert wird, der ich die Einladung verdanke.

Herzlicher Empfang und exotisches Programm

Im Inneren der Goldenen Rose herrscht reges Vorbereiten für den großen Abend. Dennoch werde ich herzlich empfangen und nach kurzer Vorstellungsrunde mit einem Mittagessen und zahlreichen Fragen bedacht.

Bevor die Veranstaltung beginnt, mache ich noch einen Kurzbesuch bei den Franckeschen Stiftungen, Herberge verschiedenster kultureller, kirchlicher, sozialer und pädagogischer Einrichtungen. Für die einen zentraler Ort der Aufklärung, für andere Ursprung der preußischen Schule, sind sie heute ein großes Museum mit viel Sehenswertem, wie der historischen Kulissenbibliothek, dem historischen Waisenhaus mit Naturalienkammer und der Dachterrasse, deren Ausblick über die Stadt schon Francke und der preußische König Wilhelm I. bei ihren Gesprächen genossen.

Um 18:00 Uhr startete die Feier mit einer Podiumsdiskussion zum Thema „Braucht Halle ein alternatives Stadtmagazin?“ mit Vertreter*innen der Halleschen Störung, dem Onlinemagazin HalleSpektrum und des Peißnitzboten. Als Gastreferent trage ich mit Erfahrungen der Karlsruher Druckschrift zur Runde bei. Es entwickelt sich eine spannende Diskussion mit dem Publikum, zu Möglichkeiten der Kooperation der verschiedenen freien Medien in Halle, der Frage, wie man Reichweite und Aufmerksamkeit erhöhen kann und wie es gelingt als Zeitung oder Magazin eine vernetzende Funktion zu erfüllen.

Im Anschluss liest Musiker, Produzent und Autor Misha Schöneberg, ehemals Teil der Musikkommune „Ton Steine Scherben“ aus seinem Buch „Siddartha Highway“ – ein Reisebericht mit romantisch-religiösen aber auch sozialkritischen Schilderungen zu Indien und Nepal. Zwischen den Lesebeispielen sorgten Diashows, unterlegt mit indischer Musik für ein emotionales Ambiente. E-Gitarre und Gesangseinlagen gab es von Kidd Viscouz, von der Punkband „Not the ones“. Im Nebenraum wurde vegetarisches indisches Essen serviert.

In den Programmpausen höre ich in Gesprächen allerhand Hallenser Anekdoten. Mit ein paar Bieren und resümierenden Gesprächen zu Podium und Lesung klingt der Auftaktabend aus. Die Nacht verbringe ich im für mich gebuchten Air BnB bei einer Wahlhallenserin mit schwäbischen Wurzeln, Künstlerin und nach eigenen Angaben Sympathisantin der Halleschen Störung, die mir auf dem Heimweg zu beinahe jedem Gebäude eine Geschichte erzählen kann.

Erst die Pflicht, dann das Vergnügen

Nach einer kurzen Nacht bin ich verabredet mit einer echten Hallenserin. Am Steintorplatz, der seinen Namen vom ehemaligen steinernen Stadttor hat, welches im Zuge der Stadterweiterung Ende des 19. Jahrhunderts nach Norden weichem musste, halte ich Ausschau nach einer Dame in rotem Mantel und roter Mütze. Es ist bitterkalt. Ich wärme mich mit einem Kaffee auf und beobachte die vorbeieilenden Leute, die in und aus den Straßenbahnen steigen. Die Stadtbahn Halle war die erste in Europa mit einem elektrischen Straßenbahnnetz. Ihr Liniennetz ist eines der größten Deutschlands, erzählt mir die für mich engagierte Stadtführerin später nicht ohne Stolz. Nachdem wir uns gefunden und ich eine kurze Einleitung zum Stadtursprung, des im Jahr 806 zum Schutz einer Solequelle zur Salzgewinnung errichteten Halle, erhalten hatte, gingen wir Richtung Altstadt. Vorbei am nördlichen Wasserturm, aufwändig verziert mit den typischen Klinkern und dem historischen Stadtbad, in dem viele Hallenser Kinder das Schwimmen gelernt hätten, ging es weiter zur Universität und ehemaligen Verlagsgebäuden. Dort vereinbarte Beschränkungen zur Buchkopie seien die Vorstufe zum Urheberrecht gewesen. Die Uni habe früh mit der eigenen Produktion von Papier begonnen. Vorbeigeschlendert am Händelhaus, endet die Stadtführung mit einem Blick auf den Dom zu Halle, die Moritzburg, die neue Residenz und die zoologische Sammlung am Domplatz. In den nahegelegenen Redaktionsräumen der Halleschen Störung werde ich in Empfang genommen und über den straffen Zeitplan informiert. Dabei werden kulinarische Geschenke ausgetauscht. Nebst halleschem Solesalz erhalte ich Halloren Kugeln, der Halloren Schokoladenfabrik AG, die nach Übernahme der Münchener Confiserie Dreher, zu den wenigen deutschen Produzenten von Mozartkugeln gehört – ein seltenes Beispiel der Übernahme einer west- durch eine ostdeutsche Firma – heißt es.

Viel Zeit für Plausch bleibt aber nicht, denn wie mir offenbart wird, bin ich als Interviewgast im Liveprogramm des freien Radio Corax geladen.

Doch zuvor halten wir die partnerschaftliche Redaktionssitzung auf der Peißnitzinsel, inmitten der Saale ab, die die historische Altstadt von der Plattenbausiedlung Halle-Neustadt trennt.

In einem Nebengebäude des Peißnitzhaus tausche ich mich, bei Suppe vor wärmendem Kamin, mit Jörg, Frank und Dietmar über unsere kommenden Ausgaben aus und treffe Ulrich, Autor beim Peißnitzboten und Mitorganisator des Peißnitzhaus e.V., der sich seit 2003 um Renovierung und Wiederbelebung der Villa Peißnitz bemüht. 1892 gebaut, diente das Haus erst als Wald-Erholungsschule, war danach Treffpunkt der Hitlerjugend, dann Erholungsort für sowjetische Soldaten, später Pionierhaus in der DDR, bevor es in den 1990er Jahren zunehmend verfiel. Heute wird es aufwendig restauriert und dient als Familienerholungszentrum mit Umweltbildungscharakter und soll sich als Treffpunkt und Brücke zwischen Halle und Halle-Neustadt etablieren.

Punkt 14:40 Uhr, nach knapper Führung durch Redaktion und Studios vom Radio Corax, sitze ich mit Jörg in der Livesendung S.O.S Mittagsmagazin und erzähle vom Wirken und der Geschichte der Druckschrift. Auch die Kontakte zum freien Radio Querfunk in Karlsruhe und zu meinen Gastgebern der Halleschen Störung bleiben nicht unerwähnt. Die Größe, aber mehr noch die professionelle Einrichtung und Außenwirkung von Corax beeindrucken mich.

Essen im Objekt, Impro und Hühnermanhattan

Weiter geht die alternative Stadtführung in Richtung der Graffitikunstmeile in Halle Ost. Auf dem Weg werden mir dutzende freie Kulturräume, Clubs und Hausprojekte, die teils aus legalisierten Hausbesetzungen entstanden sind, vorgestellt. Es scheint, als hätte beinahe jede Straße in Halle ein alternatives Projekt. Hungrig von den vielen Eindrücken und der Kälte esse ich mit Jörg und einem Freund zu Abend im Objekt 5, einem Restaurant und Veranstaltungsort für Konzerte, dessen Namen von der Observationsbezeichnung der Stasi komme und beibehalten wurde.

Aufgewärmt und gesättigt sehen wir im Studio Halle einen Auftritt im Rahmen der „Impronale“, des mittlerweile 15. jährlichen internationalen Festivals für Improvisationskünstler*innen in Halle. Eine gelungene Vorstellung. Am August-Bebel-Platz, der durch Straßenkunst und einen Tauschkasten für Kleidung und anderes vom einstigen Schmuddelplatz zum hippen Treffpunkt wurde,  setzen wir uns für einen Trink zum Ausklang noch in eine der urigen Bars. Danach verabschiede ich mich von meinem sichtlich erschöpften Gastgeber und lade zum Gegenbesuch in Karlsruhe ein.

Für mich endet der Abend jedoch noch nicht, denn zuvor muss ich unbedingt noch einer letzten Anekdote auf den Grund gehen. Ich mache mich auf Richtung Nordfriedhof. Östlich davon befindet sich auf dem Gelände einer ehemaligen Gaslampenfabrik das Hühnermanhattan – ein offener Kulturraum, der für Konzertveranstaltungen, als Gewerbehof und Disko genutzt wird. Der Name stammt – so die Geschichte – von einem in der Nähe des Markplatzes vom Kunststudenten Gabriel Machemer errichteten und mit Hühnern und anderem Getier bevölkerten Kunstdorf. Dieses musste bald darauf jedoch geräumt werden und so zog das Hühnermanhattan in das Diesterweghaus am Steintor, wo es sieben Jahre bis zur Sanierung des Hauses als Klub bestand. Der Legende nach wurde das Fabrikgelände, auf das es anschließend zog, mit sieben Gebäuden und Besitzervilla für 50.000 Euro aus dem Verkauf von 10.000 Hasenbildern und 1.200 Eselsbildern finanziert. Andere Zungen behaupten, das Geld stamme aus der Versicherungssumme für Kunstwerke, die durch einen Wasserschaden nach einer Ausstellung zerstört wurden. Wie dem auch sei, der Betrieb der Kultstätte als Veranstaltungsort floriert heute und ich möchte mir das anschauen. Unter Anfang- bis Endzwanziger Partygänger*innen, erlebe ich ein Analog Disco Stoner Electro Space Punk Konzert und tanze danach zu 90er Pop, Hip Hop und Rock bis in den morgen.

Ein gelungener Abschluss meines Kurztrips nach Halle. Sicher ist, ich komme wieder, denn es gibt noch viel zu sehen. (bh)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht

*