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Wie ein Festival, nur mit WLAN

Das Wohnprotest-Camp am KIT

Als ich am Mittwochabend zum Zeltplatz fahre, habe ich mich beinahe schon daran gewöhnt, nicht zu Hause zu schlafen. Es ist vielleicht halb 10, auf dem Campus sitzen nur noch die, denen das Bier in der Kneipe zu teuer ist. Auf der anderen Seite des Platzes eine Blaskapelle. Und wir. Eigentlich hatten auch wir zu einem musikalischen Abend eingeladen, aber gegen die schallenden Blechbläser haben die sanften Akustikgitarren einfach keine Chance. Die Stimmung ist dennoch gut, man lacht, vertreibt sich die Zeit mit Gesellschaftsspielen, man diskutiert über Alternativen zum Neoliberalismus oder darüber, wie sehr man gefroren hat in der letzten Nacht. Und natürlich auch hin und wieder über die Wohnungsnot in Karlsruhe, in Baden-Württemberg, in der Bundesrepublik.

In dieser Nacht stehen mehr Zelte auf der Forumswiese des KIT als gestern, es haben sich einige motivierte Studierende gefunden, die von der Aktion begeistert sind und sich uns anschließen, mal aus Lust am Zelten, mal um mit uns ein Zeichen zu setzen. Zum Ende des Camps am 19.10. sollen sich doppelt so viele Zelte auf dem Campus befinden wie zu Beginn der Aktion vier Tage zuvor. Ungefähr 20 Zelte stehen vor dem Biologie- und Chemiekomplex auf der großen Wiese. Voll ist die Wiese noch lange nicht, aber man zeigt Präsenz. Auf der anderen Seite des Durchgangs, den wir freihalten müssen, damit die vielen grauen Rucksäcke in den Hörsaal strömen können, steht ein kleines Veranstaltungszelt, das für ein paar Tage zum politisch-kulturellen Mittelpunkt des KIT wird: Workshops zum Kohleausstieg, zur Konsumkritik oder zu veganer Ernährung, Diskussionsrunden und gemeinsames Kochen. Viele sitzen einfach auf den zu Holzcouches umgebauten Bierzeltgarnituren und arbeiten für die Uni oder lesen ein (natürlich politisches) Buch. Was denn das alles mit bezahlbarem Wohnraum zu tun habe, werden wir gefragt. Dass für uns Wohnraum mehr ist als nur ein Bett in einem Studentenwohnheim, antworten wir. Dass man auch das Recht auf öffentliche Räume hat, in denen kultureller Austausch stattfindet und in denen die Menschen in der Stadt sich kennenlernen und vernetzen können.

Ganz im Sinne der Vernetzung hat auch Luigi Pantisano seinen Weg nach Karlsruhe gefunden. Pantisano ist studierter Architekt und Stadtplaner und ist Mitglied des Stuttgarter Gemeinderates, wo er unter Anderem im Städtebauausschuss sitzt. Und jetzt sitzt er unter dem kleinen Veranstaltungszelt und hält einen Vortrag über den Mangel an bezahlbarem Wohnraum in deutschen Großstädten. Und während Pantisano von Wohnraumprivatisierung, dem boomenden Immobilienmarkt und der nachdenklich stimmenden Perspektive auf weiterhin stetig steigende Mieten erzählt, bleiben sogar ein paar von den Rucksäcken stehen und setzen sich dazu. Mit vielen von ihnen kommen wir ins Gespräch, denn auch die, die gerade nicht so viel Zeit haben, finden das Thema dann doch wichtig genug, um wenigstens ein paar Minuten mitzudiskutieren. Im Laufe der Woche werden wir viele Gespräche geführt haben. Mit jenen, die wissen, dass das kapitalistische System das beste ist, und mit jenen, für die sowieso schon alles verloren ist. Und wir treffen Studierende, die ohne Unterkunft sind, und versuchen, ihnen mittels unserer Bettenbörse und Eilanträgen unter die Arme zu greifen.

„Wie ein Festival, nur mit WLAN“, witzeln wir, denn die Gruppe der Protestierenden beschränkt sich längst nicht mehr nur auf den SDS, die linke Hochschulgruppe am KIT. Es gibt einen Falafelstand bis spät in die Nacht, und irgendjemand hat immer ein Instrument dabei. An einem Abend schauen wir einen Film. „Das Gegenteil von Grau“ heißt er, behandelt verschiedene Konzepte der gemeinschaftlichen Nutzung von Leerständen, es geht um Selbstverwaltung, Stadtteilvereine, kulturelle Einrichtungen, nachhaltig-solidarische Landwirtschaft. Als der Abspann läuft, macht liegt für einen kurzen Moment ein wenig Bedrückung in der Luft. Denn plötzlich ist jedem im Gemeinschaftszelt klar: Sowas fehlt in Karlsruhe. Die selbstverwalteten Räume, die von Bürgerinnen und Bürgern gestalteten Leerstände und eine Stadt die für statt trotz der Menschen in der Stadt geplant wird. Und als das Camp vorüber ist, setzt das ein, das immer am Ende eines Festivals steht: Der Alltag, in dem alles ist wie vorher.

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