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Debatte

Debatte: Sabine Zürn

Politik ohne Zukunft

Sabine Zürn, in verschiedenen Zusammenhängen aktiv, zudem Gemeinderätin für DIE LINKE in Karlsruhe, sandte uns einen Beitrag zur Debatte. Mindestens zwei Dinge sind für Ihre „Politik der Zukunft“ unabdingbar: Links und feministisch muss sie sein!

Politik ohne Zukunft

Die meisten Sätze mit „Zukunft“ in der Politik kommen nicht über den Tag hinaus und schon gar nicht über die herrschenden Verhältnisse. Meistens sollen sie eher beschwören, dass es irgendwann besser wird, dass man noch ein bisschen aushalten soll, dass „die Politik“ es schon richten wird …Politik aber stützt ein System und ist Teil davon, das auf Arbeitsteilung und Herrschaft aufgebaut ist. Berufspolitiker*innen fällen Entscheidungen über das Tun und Leben der Vielen – ob in Fabriken oder Büros, Wohnungen oder Stadtviertel -, das sie kaum (noch) aus eigener Erfahrung kennen. Bei ihrem Arbeitsalltag können sie nicht das Wohl aller im Blick haben und haben es auch nicht.

Doch nicht nur in der Politik arbeiten die Menschen „eindimensional“: Viele werden bei schlecht bezahlter, monotoner Arbeit krank und sind nach Überstunden zu müde, um etwas mit Freunden zu unternehmen oder auch nur einen Spaziergang zu machen. Andere haben keine Minute Zeit am Tag für sich selbst, weil sie rund um die Uhr unbezahlt Kinder, Angehörige und den Haushalt versorgen. Dritte jetten erster Klasse um die Welt, um die globale Wirtschaft zu steuern, ohne jemals ein Ei gekauft oder gekocht zu haben.

Ein politisches System, das sich wesentlich und herrschaftlich auf die Arbeitsteilung zwischen Kopf und Hand und zwischen Männern und Frauen stützt, hat keine Zukunft, über die zu philosophieren sich für mich lohnt. Interessant wird das Nachdenken erst, wenn es um eine Zukunft ohne Herrschaft geht und um eine Politik, die dahin führt. Damit sind wir im Feld der Phantasie, an einem Ort, den es (noch) nicht gibt, der aber von hier aus zu entwerfen ist, in der Utopie.

„Es ist nicht an der Zeit, um wunschlos zu sein. Die Entbehrenden denken auch gar nicht daran.“ Ernst Bloch

Politik in einer feministischen, linken Utopie

Berufspolitiker*innen, wie wir sie heute kennen, gibt es in einer besseren Welt nicht mehr, ebenso wenig wie andere Vollzeit-Fachidiot*innen. Soll es gerecht, demokratisch und lebendig zugehen, teilen sich alle Menschen die Arbeit, die zu tun ist. Die Frage ist damit zunächst, was in einer Gesellschaft alles getan werden muss, damit sie funktioniert. In folgenden vier Bereichen gibt es Aufgaben: Im Bereich der Politik, ich nenne ihn – umfassender – die Regelung des Gemeinwesens. Der zweite Bereich ist der der Produktion von Lebensmitteln, der dritte umfasst die Produktion des Lebens selbst (darin steckt zum Beispiel das Generationenverhältnis, die Sorge- und die Beziehungsarbeit) und der vierte die persönliche Entwicklung, also so etwas wie Bildung, Freizeit und Faulenzen.

Verteilen wir die Aufgaben gerecht, übernehmen alle Menschen Tätigkeiten in den verschiedenen Bereichen: Die Atomphysikerin wird dann auch noch Zeit haben, ihre Eltern zu besuchen, sich über Zebrastreifen in ihrem Stadtteil Gedanken zu machen und Schwimmen zu gehen. Der allein Erziehende, der bislang noch stundenweise einen Putzjob hatte, wird Aufgaben der internationalen Völkerverständigung übernehmen und Zeit für einen Spanischkurs bekommen.

Wenn alle für alles mit verantwortlich sind, wie sieht dann „Politik“ aus? Verstanden als Regelung des Gemeinwesens fände sie sinnvollerweise auf verschiedenen Ebenen und in basisdemokratischen Räten statt. Diese tagen je nachdem in der Hausgemeinschaft, im Stadtteil, im Landkreis und auf internationaler Ebene (wenn erst einmal die Nationalstaaten überwunden sind). Die Rätinnen und Räte fliegen aber nicht um die Welt und verbringen ganze Wochen an Bankett-Tischen, sondern kommunizieren oft digital miteinander. Wenn sie einige Stunden intensiv und effektiv geplant und verhandelt haben, geht jeder und jede nach einem Mittagsschläfchen anderen Tätigkeiten nach und hat noch Zeit, um sagen wir mit den Liebsten Essen zu kochen oder einen Jodelkurs zu besuchen.

Tatsächlich bräuchten die Menschen heute keinen 8-Stunden-Arbeitstag mehr, um die weltweit notwendigen Mittel zum Leben herzustellen – Stichwort Produktion 4.0. Der lange Arbeitstag nutzt nur denen, die sich den Profit aus dem erwirtschafteten Überschuss aneignen wollen. Folgendes Tages-Zeitmodell ist also (wenn die Profiteure abgesetzt sind) nicht unrealistisch und ließe sich in vielen Varianten durchspielen: Vier Stunden für Familien- und Sorgearbeit, vier Stunden an einem Arbeitsplatz in der Produktion, vier Stunden für die Regelung des Gemeinwesens sprich „Politik“ und vier Stunden für die individuelle Entwicklung, also vielleicht fürs Buchlesen in der Hängematte und/oder für den Besuch im (Badischen) Staatstheater.

Sind das Interesse und der politische Wille aller so, dass sie in dieser Weise über ihre Lebensbedingungen selbst entscheiden, werden sie sinnvollerweise über den gesellschaftlichen Reichtum insgesamt – Produktionsmittel, Grund und Boden – gemeinsam bestimmen wollen. Da das in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem nicht geht, werden sich die Menschen ein anderes System schaffen müssen. In einer patriarchalen Gesellschaft, in der ein Geschlecht über die Arbeit und den Körper des anderen Geschlechts verfügt, können eine gerechte Arbeitsteilung, wirkliche Demokratie und die „Menschwerdung“ aller ebenfalls nicht funktionieren. Also wird auch das Patriarchat in der hier skizzierten Zukunft ganz und gar der Vergangenheit angehören.

Revolutionäre Realpolitik

Die hier kurz dargestellte Utopie ist das Ergebnis feministischer und linker Kritik und politischer Forderungen vieler Jahrzehnte. Zu den Debatten nur einige Schlagworte:

  • Schluss mit dem Stellvertretertum in der Politik! Dieser Forderung liegt die Erfahrung zugrunde, dass männliche Politiker nicht die Interessen von Frauen vertreten, wie es auch keine gute Politik für Arbeiter ohne Arbeiter gibt. „Jede Köchin muss verstehen, den Staat zu regieren!“ sagte Lenin.
  • Radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem und gleichem Lohn bzw. bei materieller Absicherung aller! Dem liegt die Kritik an der Trennung von Kopf- und Handarbeit sowie in Frauen- und Männerarbeit zugrunde. Außerdem ist Konsum um des Konsums und des Profits Willen nicht im Interesse der Menschen dieser Welt und damit nicht zukunftsfähig.
  • Die „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ für Frauen zu fordern ist reaktionär. Diese Vereinbarkeit ist eine Verkürzung persönlicher und gesellschaftlicher Entwicklung, denn sind nicht im menschlichen Leben neben Beruf und Familie mindestens noch das politische Tun und die persönliche Entfaltung zu „vereinbaren“? Und gilt es nicht auch für Männer, die Zumutung der „Einfachbelastung“ aufzugeben? Lange genug haben Frauen und auch Männer (unterschiedlich) auf ein umfassendes gesellschaftliches Leben verzichtet bzw. waren und sind davon ausgeschlossen.
  • Bildung und die Entwicklung eigener Fähigkeiten für alle! Frauen und anderen unterdrückten gesellschaftlichen Gruppen war der Zugang zu Bildung lange Zeit verwehrt – und ist es vielfach heute noch. Neugier, etwas wissen wollen und sich ausprobieren aber sind Menschenbedürfnisse.

Rosa Luxemburg hat eine Politik, die grundsätzliche Gesellschaftsveränderung unterstützt und ermöglicht UND dies bereits im Heute in politische Forderungen übersetzt, als „revolutionäre Realpolitik“ bezeichnet. Darüber zu schreiben wäre aber noch mal ein neues Kapitel auf der Suche nach einer Politik mit Zukunft.

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