Beiträge für eine Lebendige Streitkultur in Karlsruhe

Debatte

Die Anstoßerin

Zur Erinnerung an die Philosophin und Feministin Simone de Beauvoir

Bild: Simone de Beauvoir , Tinte und Wasserfarben Urheber: Nemomain (bezogen von Wikimedia Commons: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)

Im Boulevard du Montparnasse am 9. Januar 1908 wurde Simone de Beauvoir geboren, eine Frau, die sich zuweilen ihre Vielfältigkeit auszuleben beharrte und sich als Schriftstellerin, Philosophin, Feministin und Linksintellektuelle durchkämpfte. Bekannt ist sie vor allem für ihre Liebesbeziehung mit Jean Paul Sartre. Liest man Beauvoirs Biografien, so sind die enge Bindung und der intensive Austausch der beiden auf Anhieb verständlich. Sie blieben nie im Stillstand, sondern gingen einen gemeinsamen Weg, den zur Freiheit im weitesten Sinne, zusammen. Kaum wich Beauvoir davon ab. Auch nicht, als sie aus dem Schuldienst entlassen wurde, weil sie angeblich eine Minderjährige verführt habe. Beweise dafür hat es nie gegeben. Man vermutet, dass eher ihre Schüler*innen diejenigen waren, die Simone verführten. Liebesdreiecke zwischen ihnen, Beauvoir und Sartre hatte es des Öfteren gegeben, was für Skandale sorgte. Simone, als Frau, war die Verdächtige, während Sartre das ganze erspart blieb. Ihren Schüler*innen empfahl sie außerschulische Lektüren. Zu eng war für sie das staatlich festgesetzte Programm. Als Vorreiterin musste sie über Grenzen gehen und weiter denken. So haben wir die Engagementtheorie Beauvoirs Denken und Sartres Stift zu verdanken. Indem Beauvoir sich fragte, ob sie und Sartre nicht einen Fehler begangen hatten, sich in der Zwischenkriegszeit nicht um Politik gekümmert zu haben und ob sie nicht dafür verantwortlich wären, sollte einem gemeinsamen Freund (Ex-Schüler Sartres und Geliebter Beauvoirs), der den Militärdienst antreten musste, im Krieg etwas passieren.

Sartre wird vorgeworfen, er habe ihr Gedanken niedergeschrieben. Tatsache ist, er war der große Theoriker, vielleicht auch der besser informierte unter den beiden und sie die scharfe Kritikerin und Beobachterin. Beauvoir und Sartre haben wir auch den verführerischen Stil zu verdanken, in dem Literatur, Philosophie und Politik Hand in Hand miteinander gehen.

In der Nachkriegszeit tritt Beauvoir radikal politisch und kulturell in die linksdominierte Szene ein, denn während Sartre, als subversive Figur gegenüber dem Vichy-Regime gefestigt war, mußte sie sich noch bestätigen. Sie unterstützte die Unabhängigkeit Algeriens, besuchte regelmäßig mit Sartre die UdSSR und reiste nach Cuba und in andere Länder, die sich dem Sozialismus zugewandt hatten.

Glühend vor Ideen, wusste sie diese eher in Romanen, als in philosophischen Traktaten festzuhalten. Nichtsdestotrotz, veröffentlichte sie, neben einem ihrer bekanntesten philosophischen Traktate dem „Pyrrhus et Cinéas“, 1949 ihre Studie „Le Deuxième SexeDas andere Geschlecht“. Das, mit seinen über 1000 Seiten fast enzyklopädische Werk, machte sie berühmt und umstritten.

„Man ist nicht als Frau geboren, man wird es“ («On ne naît pas femme, on le devient»), empörte sie sich. In der existenzialistischen Zeitung „Les Temps Modernes“, wurde das Kapitel über die sexuelle Initiation der Frau veröffentlicht, in dem sie den Koitus und die Sensibilität der Vagina mit klinischer Präzision beschreibt. Es provozierte eine heftige Debatte rund um ihr Werk, die monatelang die Zeitungen füllte.

„Le Deuxième Sexe“ wurde Obszönität unterstellt, jedoch erkannte man Beauvoir in Paris eine gewisse Lehrhaftigkeit an, denn bis zu dem Zeitpunkt hatte keiner den Körper derart philosophisch beschrieben. In ihrem Buch beklagt sie die starre Rolle, die der Frau in der Gesellschaft zugewiesen wurde, als ein Konstrukt. Auch die Frau, wolle sich, gleich dem Mann, in Freiheit verwirklichen, scheitere aber daran, in diese Rolle gezwungen zu sein. Grund dafür sei die Fortpflanzung, aufgrund der die Frauen, anders als der Mann in einem vorgegebenen Bereich eingeschlossen sei. Um Frauen den Zugang zur philosophischen Auseinandersetzung mit transzendentalen Fragen zu gewähren,  müssten sie über dieselben Bedingungen verfügen.

Sie beschreibt die subtilen Ausschlussmechanismen Frauen gegenüber, die den Geschlechterrollen feste Eigenschaften zusprechen und wodurch die unvoreingenommene  Anerkennung von Erkenntnissen und Ideen verhindert werde.

„In der Debatte über Feminismus ist genug Tinte geflossen. Jetzt ist sie nahezu abgeschlossen: reden wir nicht mehr darüber. Es wird aber doch weiter darüber geredet, und es sieht nicht so aus, als hätte die in den letzten hundert Jahren produzierte Flut von Sottisten das Problem geklärt“, lesen wir auf den ersten Seiten von „das andere Geschlecht“. Schon damals, hatte man das Problem der Frau in der Gesellschaft irrtümlich gelöst geglaubt.

Heute, 70 Jahre später, dürfen wir Beauvoirs Diagnose applaudieren, denn sie forderte im Jahr 1949 die Geburtenkontrolle und Erwerbstätigkeit der Frauen, um ihre finanzielle Unabhängigkeit zu gewährleisten.

Auf das wir von dieser Vorläuferin postmoderner Gerechtigkeitstheorien lernen mögen.

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