Stadtleben

Der Tresen

Der Tresen am Werderplatz

Am Werderplatz hat jemand einen Tresen gebaut. Also nicht direkt am Platz, sondern an der Kirche, Luisenstraße, Ecke Marienstraße. Dort trifft sich regelmäßig eine Gruppe von Leuten zum Biertrinken, und die Bierflaschen, die haben sie immer auf diesem Metallgeländer abgestellt, das dort war. Aber das Geländer war eigentlich zu schmal. Oft sind Bierflaschen auch runtergefallen. Und dann hat irgendjemand, und keiner kann mehr genau sagen wann und wer das war, irgendwann im Sommer, aber derjenige hat eine ca. 50cm breite Metallplatte oben auf dem Geländer angebracht. Rot und weiß gestreift, wie ein Warnschild und mit abgerundeten Ecken und Haken zum Einhängen von Taschen und Rucksäcken.

„Das war schon gut, dass es das gab“, sagt einer der Männer, die Anfang August dort an der nun wieder leeren Ecke stehen und Bier aus Dosen trinkt. „Das war ein richtiger Tresen für uns. Auch professionell gemacht, so verschraubt und verschweißt, das konnte man gar nicht wieder abbauen. Aber am Ende ging das dann doch nicht. Das ganze Geländer musste dann weg.“ Die Kirche habe den Tresen abbauen lassen, erklärt er. Sei ja Kirchengelände hier, das sei eben das Problem gewesen, und es habe Beschwerden gegeben. Beschwerden von wem, das weiß er nicht genau, vielleicht Leute die hier wohnen oder Gäste im Hotel gegenüber, das könne er sich vorstellen, weil die störe das sicher schon, wenn es Abends noch laut ist an der Ecke. „Das haben die uns nicht gegönnt hier.“
Der Tresen stand ca. zwei Monate dort, ein Mikrokosmos, an dem sich in dieser Zeit beispielhaft die ganze Problempalette von Stadtgestaltung verdeutlichte. Stadt ist der Idee nach ein kommunal genutzter und gestalteter Raum für die gesamte Gesellschaft. In der Realität verliert sich dieses Ideal jedoch schnell in der Dissonanz unterschiedlichster Bedürfnisse und Ansprüche.
In ihrer Arbeit mit Leuten aus der Werderplatzszene und auf dem Kirchengelände allgemein sei Alkoholkonsum strikt verboten, betont Frau Pflaumbaum, Pfarrerin der Johanniskirche. Allerdings ist die Ecke Luisenstraße nicht Kirche sondern Teil des Grundstücks des Gemeindehauses und es gelten separate Abmachungen. „Das sind vier bis sechs Leute, denen wir erlauben sich hier zu treffen. Die kennen wir und die müssen auch Verantwortung für den Platz übernehmen, dort aufräumen, fegen usw.“ Es handele sich um einen Treffpunkt für speziell diese Menschen, Alkoholiker, denen die Werderplatzszene zu extrem ist, die zum Teil bereits einen Entzug hinter sich haben, heute noch trinken, aber mit Drogen nichts mehr zu tun haben wollen. Trotz Duldung der Kirche, gab es aber auch immer wieder Beschwerden von Anwohnern die sich gestört fühlten. In diesem sensiblen Verhältnis von Bedürfnissen, Zugeständnissen und Verantwortung, war der Tresen, ironischerweise grade wegen seiner hohen bauliche Qualität, ein Stein des Anstoßes. Was vorher geduldetes Verhalten ausgewählte Personen war, war plötzlich scheinbar institutionalisiert – mit der unübersehbaren Autorität rot-weißer Signalfarbe. „Das sah aus, als würden die Kirche eine öffentliche Kneipe betreiben. Wir streiten hier seit Jahren mit den Nachbarn, da war das das völlig falsche Signal.“ Ihr habe die Idee schon auch gefallen, dass da jemand einfach etwas gemacht hat, mitreden und mitgestalten wollte, aber dann stehe der Tresen an der falschen Ecke, meint Frau Pflaumbaum. „Wenn man diese Debatte führen will, dann müsste der Tresen drüben auf dem Werderplatz stehen.“
Der Werderplatz ist zentraler Treffpunkt der Südstadt, für Geschäfte, Wochenmarkt und Gastronomie ebenso, wie für die wachsende Drogenszene am Indianerbrunnen. Die konkurrierenden Platzansprüche dieser sehr unterschiedlichen Nutzergruppen führt immer öfter zu Unbehagen, zu Belästigung und Beschwerden und mündete bereits 2016 in der Gründung einer AG Südstadt, die im Dialog zwischen Stadt, Bürgern und sozialen Einrichtungen, versucht die Situation am Platz zu verbessern. In der Debatte darum, wer städtischen Raum nutzen sollte und wie, ist neben solchen offensichtlich politischen Maßnahmen aber auch die Architektur öffentlicher Flächen essentielles Mittel der Einflussnahme. In Bahnhofshallen etwa wartet man auf Bänken, rhythmisch unterbrochen von metallenen Armlehnen alle 50cm. Sie gehören zum gleichen Repertoire subtil-lenkender Maßnahmen wie abschüssige Oberflächen, spießbewehrte Zäune und die klassischer Musik die immer öfter auf nächtlichen U-Bahnsteigen spielt. Im Kontext dieser nutzungsweisenden Stadtgestaltung sind Oberflächen zu politische Gesten geworden und der Unterschied zwischen 10 und 50cm Abstellfläche ist nicht länger Lösung eines konkreten Problems, sondern automatisch Politikum.
Der Bau eines Tresens ohne Auftrag oder Genehmigung, mag naiv erscheinen, eine unnötige Provokation aufgeheizter Gemüter, kurzsichtig allemal. Aber vielleicht hat hier auch jemand Stadt ernst genommen als das was sie sein sollte: ein Ort an dem Leute leben, und der daher lebenswert gestaltet sein muss – selbst dann, wenn die Leute, die ihn beleben stören oder nachts laut sind.
Der Tresen wurde Anfang Oktober im Auftrag der Kirche entfernt. Inklusive des Geländers, von dem er nicht mehr abzulösen war. Eine Woche später tauchte an der gleichen Stelle ein hölzernes Replikat der ursprünglichen Absperrung auf. Alles wie gehabt, auch keiner zufriedener, aber immerhin kann sich niemand beschweren.

Johanna Schäfer

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