Kultur/Stadtleben/Stimmen der Stadt

Wie ich loszog die Welt zu retten – oder wie man Karlsruhe lieben lernt

Zwei ganze Jahre bin ich in Karlsruhe. Zwei Jahre voller Höhen und Tiefen, die man nicht besser als mit dem Gefälle einer schwarzen Piste vergleichen könnte. Schwarze Piste, gutes Stichwort. Was hat mich bewegt von der Hauptstadt der Alpen, umgeben von schneebedeckten Bergen und einer Umgebung in der das Sein wichtiger ist als das Funktionieren, nach Karlsruhe zu ziehen? Trotz angsteinflößender Vorwarnungen von Freunden mit Karlsruhe Experience, wagte ich den Schritt.
Nach den anfänglichen Wochen, in denen es ca. 27 Grad hatte und meine Sinne noch von den neuen Eindrücken vernebelt waren, konnte ich die Schauergeschichten nicht nachvollziehen. Doch es kann genau auf das Sommerende zurückdatiert werden, als diese begannen Form anzunehmen, flüssige Form. Schnee in seinem flüssigen Aggregatzustand, gepaart mit einem ca. 4 Monate andauernden Vitamin D Mangel. Der depressionsähnliche Zustand der mich überkam wurde von den Anzugträgern, fluchenden Menschen an der Supermarktkasse und der selbsternannten Bürgerpolizei, die gerne mit der Beschimpfung von Auf-Der-Falschen-Seite-Fahrenden-Radfahrern in den Tag startet, noch verstärkt. Dies führte dazu, dass ich den freitäglichen Feierabendverkehr der Tristesse der karlsruherischen Technologiemetropole vorzog, sechs Stunden voller Stau in Kauf nahm, um am Wochenende die letzten Sonnenstrahlen in mitten der Berge genießen zu können.
Mit jedem Montagmorgen begann ich mich zu fragen, was mich geritten hatte, das Paradies der Alpen zu verlassen. Die Antwort war einfach – eine Mischung aus dem allseits bekannten Satz „Irgendwann musst du ja mal erwachsen werden“ und einem Jobangebot, das in mir die Illusion erweckte die Welt retten zu können. So gab ich also mein Studentenleben, der Illusion die Welt retten zu können, und dem Erwachsenwerden preis. Nach einigen Monaten, das Tief der Winterdepression halbwegs überwunden, fasste ich einen Entschluss. Da ich noch nicht bereit war Karlsruhe ganz den Rücken zukehren, was unter anderem dem guten Zureden meiner Familie, mit Sätzen wie „Hab Geduld“, zu zurechnen war, beschloss ich dieser Stadt eine Chance zu geben … und das Wort Geduld zu hassen.
Ich beendete knallhart meine wöchentlichen Fluchtversuche und siehe da, die oberflächlichen Bekanntschaften verwandelten sich zu echten Freundschaften. Gemeinsam mit den neuen Leuten lernte ich Plätze und Bars kennen. Den Gutenbergplatz, das Mapa, die Südstadt mit dem Werderplatz und dem Iuno, die Venus, das NUN, und nicht zuletzt das Phono. Langsam hangelte ich mich also von West nach Ost und mit jedem Meter in die andere Richtung, lernte ich neue Orte und Leute kennen.
Als es langsam sommerlich wurde, mit Temperaturen gefühlt über dem Siedepunkt, schien die schwarze Piste langsam blau zu werden, der Vitamin D Mangel wurde durch Wassermangel ersetzt und meine depressive Verstimmung schien sich mit der sommerlichen Verdunstung in Gas aufgelöst zu haben. Die Karlsruher*innen krochen wieder aus ihren Häusern, Plätze und Parks füllten sich und die Stadt bekam ein neues Gesicht. Ich lernte immer mehr Leute meines Gleichen, anfängliche Karlsruhe Gegner*innen kennen und tauschte mich mit ihnen aus. Einmal kam ich vor einer Bar mit einem Bekannten ins Gespräch, der Satz ist mir noch heute in Erinnerung: „Ich fand Karlsruhe auch richtig scheiße, aber weißt du, es gibt tolle Leute hier, man muss sie einfach nur finden“. Da hatte er Recht. Denn wenn man sich mal umhört, ist Karlsruhe voll von anfänglichen Karlsruhe Skeptiker*innen, die jedoch aus dem Karlsruhe-Tief auferstanden sind, um etwas zu bewegen, das Stadtbild verändern wollen, woraus grandiose Projekte wie unter anderem die Lukabar, das ColaTaxiOkay, die Anstoß e.V. oder das Pöbel Bräu entstehen. Danke dafür!
Und mit der Zeit wich der karlsruherische Technologiecharme und die Eintönigkeit der Vielfalt. Mir wurde bewusst: Karlsruhe du bist so viel mehr als die mit Menschenmassen gefüllte Kaiserstraße, deine Baustellen und Anzugträger, du bist kulturelle Vielfalt, Ansporn zur Veränderung und tolle Menschen. Und letztendlich sind es doch immer die Letzteren die im Leben zählen! Man muss nur manchmal ein bisschen suchen, bis man findet. Geduld.

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