Stell Dir vor: du erhältst jeden Monat vom Staat eine Überweisung von 1000 Euro, als eine Art soziale Dividende. Die Auszahlung ist an keine weitere Bedingung geknüpft. Sie ist unabhängig von deinem monatlichen Einkommen oder irgendwelcher Vorleistung. So eine Leistung findet unter dem Name bedingungsloses Grundeinkommen zunehmend Resonanz -und polarisiert zugleich.
Zu den knapp zwanzig verschiedenen Vorschlägen, die aktuell vom Netzwerk Grundeinkommen aufgelistet werden, findet man Beiträge aus Politik (etwa von der Linke, der Grünen Jugend oder der Piratenpartei), Wissenschaft (wie dem renommierten Ökonom Thomas Straubhaar) und Zivilgesellschaft, etwa vom Deutschen Bundesjugendring. Auch die Naturfreundejugend hat im Jahr 2009 einen eigenen Vorschlag hervorgebracht.
Neuen Befragungen zufolge, würde die Mehrheit der Deutschen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens begrüßen (vgl. Ipso-Befragung Global@dvisor 2017 und Splendid-Research 2017). Ob tatsächlich so viele Bürger auch bereit wären, für das BGE einzutreten ist fraglich. In der Schweiz, wo im Juni 2016 tatsächlich über ein bedingungsloses Existenzgeld abgestimmt wurde, haben aber immerhin 560 Tausend Menschen (10% der Wahlberechtigen), gegen die Empfehlung von Wirtschaftsorganisationen, Volksparteien und Gewerkschaften für dessen Einführung abgestimmt.
Zwei prominente Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens kommen aus Karlsruhe. Grund genug, um sich mit diesem faszinierenden und zugleich umstrittenen Vorschlag auseinanderzusetzen. Wir haben für euch in den folgenden Seiten die wichtigsten Modelle zusammengefasst sowie einigen Stimmen dafür und dagegen gesammelt.
Der Unternehmer und die Umweltaktivistin
Sylvia Kotting-Uhl und Götz Werner haben zwei Sachen gemeinsam: Sie haben beide mit Karlsruhe zu tun und treten beide für ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) ein. Die grüne Umweltpolitikerin aus Karlsruhe, seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestags sieht in dem BGE ein effektives Instrument um Armut zu bekämpfen und zugleich mehr Freiheit (etwa in der Berufswahl) zu gewähren. Ihr Beitrag zum bedingungslosen Grundeinkommen, den wir in gekürzter Form in dieser Aufgabe veröffentlichen, ist ein leidenschaftliches Plädoyer und zugleich ein Appell, sich von der Agenda 2010-Rethorik zu verabschieden und sozialpolitisches Neuland zu betreten.
Der Heidelberger Unternehmer Götz Werner hat seine Drogerie-Kette in Karlsruhe gegründet und sie zum international handelnden Unternehmen gemacht. Er betrachtet das BGE schlicht als Menschenrecht. Es soll allen Mitgliedern der Gesellschaft die Möglichkeit geben, ohne existenziellen Druck und Zwang zum Lohnerwerb, sinnstiftende Arbeit zu leisten. Der Querdenker setzt sich bereits seit 13 Jahren mit seiner Initiative „Unternimm die Zukunft“ für ein bedingungsloses Bürgergeld ein und hat zur Popularität dieses Konzepts entscheidend beigetragt.
Denn das war nicht immer so. Bis in die späten 90er Jahre galt die Idee, dass der Staat jedem Bürger ein monatliches Einkommen zahlen könnte, entweder als abgefahrener Elfenbeinturm-Vorschlag aus der akademischen Welt oder als utopische Forderung „linksradikaler“ Erwerbslosen- und Jobber-Initiativen.
Diese hatten bereits in den 80er Jahren zutreffend erkannt, dass wenn Wirtschaftswachstum, Vermögensbildung und Beschäftigung auseinandertriften und durch die Globalisierung die kapitalistische Verwertungskette immer unüberschaubarer wird, die alte gewerkschaftliche Forderung nach einem Recht auf Arbeit, an Bedeutung verliert. Die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums und die Sicherung der Existenz können nicht mehr vorwiegend durch Erwerbslohn sondern zunehmend durch die Umverteilung des kollektiv erzeugten Vermögens, zum Beispiel durch ein bedingungsloses Existenzgeld geschehen.
Inzwischen wird eine Art bedingungsloses Grundeinkommens in Finnland ausprobiert. Auch die Kieler Jamaika-Koalition möchte in Schleswig-Holstein einen Feldversuch starten.
Salonfähig und spalterisch zugleich
Die Vorwürfe, das BGE sei grundsätzlich nicht finanzierbar oder es mache Menschen „arbeitsscheu“, dienten jahrelang als Totschlagargumente. Inzwischen werden Aspekte der Finanzierbarkeit, sowie die Frage zur Auswirkung eines bedingungslosen Grundeinkommens auf den Arbeitsmarkt viel sachlicher diskutiert. Mit Ausnahmen natürlich. Reflexartig antwortet der AfD Bundestagsabgeordnete Marc Bernhard auf die Frage, wie er zum BGE steht, dass „…man offene Grenzen haben kann oder einen Sozialstaat, aber nicht Beides zur gleichen Zeit.“
Eher ablehnend sind die Wirtschaftsverbände. Das Grundeinkommen sei „nicht finanzierbar und würde zu negativen Arbeitsanreizen und damit zu weniger Beschäftigung führen“, lautet seit Jahren die offizielle Botschaft der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. In der Tat ist die Position der Wirtschaftswelt nicht so monolithisch. Inzwischen haben sich prominente Unternehmer und Manager, wie der Telekom-Chef Timotheus Höttges oder der SAP-Vorstand Bernd Leukert öffentlich für ein bedingungsloses Grundeinkommen positioniert. Der Verlust von Arbeitsplätzen, im Zuge der technologischen Revolution verlange neue Absicherungsmechanismen für die vielen, die „auf der Strecke bleiben werden“, äußerte sich vor einem Jahr schonungslos der Siemens-Chef Joe Kaeser. Sollten ihre Dienste irgendwann wieder gefragt sein, hat die FPD mit dem liberalen Bürgergeld, ein eigenes (angeblich wirtschaftsfreundliches) Konzept parat: eine Art Grundeinkommen light (oder Kombilohn plus), bei dem eventuell selbstverdiente Einkommen nur prozentual angerechnet werden.
Bei den Gewerkschaften hat sich die Diskussion über das BGE noch nicht richtig entfaltet. Zu hoch ist die Angst, dass ein BGE ihre Durchsetzungskraft schwächen würde. Ein garantiertes Grundeinkommen könnte, je nach individuellem Bedürfnis, schlecht bezahlt Jobs verschwinden oder diese erst erträglich werden lassen. Viele Menschen wären nicht weniger sondern mehr denn je bereit, für einen minimalen Lohn zu arbeiten. Ein Blick in die Vergangenheit lässt aber vermuten, dass sich auch die Gewerkschaften zukünftig intensiver mit diesem Thema auseinandersetzen werden. „Die Lohnpolitik muss den Tarifparteien vorbehalten bleiben“. Mit diesen Worten lehnte der damalige DGB-Chef Michael Sommer 2004 die Einführung eines Mindestlohns ab. Nur wenige Jahre später kam die Wende: Mit der abnehmenden Verankerung von Flächentarifen in den neuen Branchen und im Dienstleistungssektor, sticht das Argument einer, durch gesetzliche Mindestlöhne gefährdeten Tarifautonomie nicht mehr. Heute begrüßen die Gewerkschaften die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns, als ein Instrument, das „die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Millionen Menschen verbessern hat“.
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