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Schwerpunkt

Kritik am Grundeinkommen

Sozialpolitik „at its best“?

Keine kommunistische Utopie sondern real-politisches Modell

Sozialpolitik „at its best“? Oder die Rückkehr von der gesellschaftlichen Solidarität, wie wir sie heute kennen?

Wie erklärt sich das Interesse für ein bedingungsloses Grundeinkommen, quer durch die Gesellschaft? Ein Grund liegt mit Sicherheit in seinem überschaubaren, auf den ersten Blick, fairen universalistischen Anspruch. Ein anderer darin, dass in einer flexibler und unsicherer werdenden Arbeitswelt, das individuelle Einkommen nicht länger allein durch Erwerbsarbeit garantiert werden kann. Auch die Finanzierung des Sozialstaates, durch an Erwerbsarbeit gekoppelte Sozialabgaben gerät in Schwanken. In diesem Zusammenhang bietet eine universale, bedingungslose Leistung wie das Grundeinkommen ein Instrument sowohl für die, die sich „mehr Staat“ als auch für die, die sich „weniger Staat“ wünschen.  Entscheidend sind neben der Frage nach der Höhe, auch die Fragen nach dem Wofür und Wer es finanziert.

„Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine linke Utopie (…). Man kann offene Grenzen haben oder einen Sozialstaat, aber nicht Beides zur gleichen Zeit.“

Marc Bernhard, AfD-Bundestagsabgeordneter aus Karlsruhe

Wenn es der nach den Linken oder der Grünen Sylvia Kotting-Uhl ginge, stellte das BGE den Sozialstaat auf eine breitere Solidaritätsbasis und ersetzte diskriminierende Systeme (bspw. Hartz IV), um ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Teilhabe zu ermöglichen. Das würde am besten funktionieren, wenn man Bezieher*innen sehr hoher Einkommen und Besitzer*innen sehr großer Privatvermögen mehr als bisher in die gesellschaftliche Verantwortung nimmt. Dadurch ließen sich durch das BGE mehr Solidarität und mehr Umverteilung erreichen.

„Toller Ansatz – den ich in der derzeitigen Verwertungslogik für nicht sinnvoll halte, da er zum gesellschaftlichen Ausschluss führen kann. Als nationales Projekt führt es schnell zur Isolation, da es – so befürchte ich – noch schwieriger wird, einen deutschen Pass zu bekommen.“

Michael Brandt, Linke-Bundestagsabgeordneter aus Karlsruhe

Ansonsten käme ein bescheidenes BGE, gekoppelt mit einer deutlichen Steuersenkung, für Besserverdiener einem gigantischen Privatisierungsprogramm gleich, bei dem die Verantwortung – ohne wesentlichen sozialen Ausgleich – auf Einzelne verlagert wird. Schließlich darf ein BGE die Gesellschaft nicht von seiner Verpflichtung, sozialer Ungleichheit auch im Hinblick auf Zugang zu Bildung, Kultur, Wohnraum, etc. zu begegnen, durch einen monatlichen Scheck entbinden. (mf)

Weniger utopisch als man denkt

Die Entwicklung der Wirtschaft und die Finanzierungsprobleme des Sozialstaates machen das BGE in der Tat weniger utopisch als man denkt. Zentral wird die Frage sein, inwiefern Konsens für eine solche Leistung erzeugt werden kann – und vor allem: zu welchem Preis.

Die Geschichte des Sozialstaates zeigt schonungslos: Will man Konsens für staatliche Transfers schaffen, dann wollen auch diejenigen, die sich als Geldgeber betrachten, was davon haben. Umverteilung ist auch immer ein bisschen paradox. Unterm Strich profitieren von sozialen Transferleistungen nicht nur die Ärmsten, für die der „Kuchen“ leider immer zu klein ist, vielleicht auch nicht die Reichsten, wenn sie hohe Steuern zahlen müssen, sondern vor allem die Mittelschicht. Ihre Bereitschaft den Sozialstaat zu finanzieren, hing häufig davon ab, inwiefern die Sozialleistungen an Vorleistungen bzw. Einkommen gekoppelt waren.  Auch die generöseren Sozialstaaten Europas, selbst die Skandinavischen, mussten sich in der Nachkriegszeit diesem Diktat unterwerfen und Regelungen in ihre Sozialsysteme einbauen, die nach dem Matthäus-Prinzip arbeiten: „wer da hat, dem wird gegeben“.

„Wir trennen Arbeit und Einkommen. Tatsächlich haben wir nur deshalb Arbeitslosigkeit, weil wir sagen: Wer nicht arbeitet, liegt dem anderen auf der Tasche. Hätten wir diese Vorstellung nicht, könnten wir sagen: Wir haben so und so viele Menschen und so und so viele Güter – und weil wir so und so viele Güter haben, können wir so und so viel Geld drucken und an die Menschen verteilen. Dann hat jeder sein Grundeinkommen.“

Götz Werner, Interview mit Götz Werner über Grundeinkommen, Brandeins 03/2005

 „Ich setzte mich klar dafür ein, dass Arbeit wieder einen Wert hat. Klar ist aber auch, dass Menschen geholfen werden muss, die von ihrem Einkommen nicht leben könne. In diesem Sinne setzen wir Freien Demokraten uns für die Einführung eines Bürgergeldes ein. Das Bürgergeld soll steuerfinanzierte Sozialleistungen zusammenfassen und zentral von einer Stelle ausgezahlt werden. Damit wird das System (…) übersichtlicher und ist im Gegensatz zum bedingungslosen Grundeinkommen auch mit dem Anreiz zur Eigenleistung gekoppelt.“

Michael Theurer, FDP-Bundestagsabgeordneter aus Karlsruhe

Wird ein eventuelles bedingungsloses Grundeinkommen am Ende wie das System des Familienleistungsausgleichs (formal ebenfalls bedingungslos!) aussehen, wonach Besserverdiener unterm Strich durch die steuerlichen Vergünstigungen mehr „Ausgleich“ als alle anderen erhalten, die auf das jährliche Kindergeld angewiesen sind?

„Armut drückt sich nicht nur über Einkommen aus, sondern durch kulturelle und soziale Zugänge. Ich mache mir Sorgen, dass wir mit einem Grundeinkommen die „Vererbung“ von Armut in den betroffenen Schichten verstetigen könnten.“

Parsa Marvi, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Karlsruhe

So betrachtet verliert das BGE ein bisschen an Romantik. Es ist kein Kommunismus auf Erden, vielmehr realpolitischer Ansatz eines neuen Sozialstaats, in dem die Frage, wer mit wem solidarisch sein soll, noch gänzlich ungeklärt ist.

„Als Konsequenz des digitalen Wandels werden einige auf der Strecke bleiben, weil sie mit der Geschwindigkeit auf der Welt einfach nicht mehr mitkommen.“ Die Gesellschaft müsse dafür sorgen, dass diese Menschen versorgt sind. Eine Art Grundeinkommen sei daher „völlig unvermeidlich“.

Siemens-Chef Joe-Keiser in Interview mit der Süddeutschen Zeitung, 20.11.2016

Das bedingungslose Grundeinkommen hat das Potential, die soziale Absicherung und darüber hinaus die Erfüllung wichtiger gesellschaftlicher Aufgaben wie Pflege und Kultur und garantieren, kann aber auch zur Ungerechtigkeit beitragen. Es ist ein ernstzunehmendes Modell über das es sich zu diskutieren lohnt.

Mehr zum Thema bedingungsloses Grundeinkommen in dieser Ausgabe:

2 Kommentare

  1. Vorweg: Die bisherige ‚Versorgung‘ von Menschen ohne Arbeit durch Hartz-4 ist zu deutlich zu niedrig und es nimmt Menschen ihre Würde. Hier sind Änderungen schnell erforderlich und ich bin sicher, dass die Finanzierung möglich ist – durch Umverteilung! Das (bedingungslose) Grundeinkommen halte ich für den falschen Weg:

    1. Arbeit ist mehr als nur Geldverdienen
    Die meisten Menschen arbeiten gerne. Arbeit ist ein wichtiger Teil des Lebens. Arbeit schafft Selbstbestätigung und Anerkennung. Ich trete für das ‚Recht auf Arbeit‘ ein.

    2. Wer entscheidet denn, wer arbeiten darf und wer nicht?
    Für mich wäre es sehr schwer erträglich, wenn mir jemand sagen würde „Für Dich haben wir nichts zu tun. Nimm Dein Grundeinkommen und halte die Klappe.“ Es ist für mich nicht überraschend, dass vor dem Hintergrund von Industrie 4.0 dieses Thema plötzlich so viele Befürworter findet. Die gesellschaftliche und staatliche Verpflichtung für Arbeit der Menschen zu sorgen, entfiele.

    3. Gerechtigkeit :
    Das bedingungslose Grundeinkommen beseitigt die soziale Schieflage in unserem Land nicht. Vielmehr beinhaltet es die Gefahr die bestehenden Verhältnisse von arm und reich in Stein zu hauen. Es sollte vielmehr darauf ankommen, das gemeinsam Erwirtschaftete gerechter unter allen zu verteilen.

    4. Gefahr, dass tarifliche / arbeitsrechtliche Rechte ‚geschleift‘ werden.
    Einige Befürworten wie Thomas Straubhaar wollen dass, „alle sozialpolitisch motivierten Regulierungen des Arbeitsmarktes“ zu streichen sind. Das heißt z. B. Wegfall von Kündigungsschutz, staatlichen Renten- und Arbeitslosenversicherungen.

    Einige de Befürworter des Grundeinkommens haben nichts anderes im Sinn wie die Abschaffung bzw. ‚Vereinfachung‘ der bestehenden Sozialversicherungssysteme. Um soziale Gerechtigkeit geht es den Herren Straubhaar, Althaus und Werner nicht.

    • Lieber Stefan Kühner,

      vielen Dank für die Beteiligung an der Debatte und die begründete Kritik am Modell des Grundeinkommens.
      Nur um es noch einmal zu betonen, da die Kritik am BGE in der Berichterstattung zugegebenermaßen etwas zu kurz gekommen ist – ging es uns nicht um eine unreflektierte Werbung für das Modell, sondern um eine offene Debatte.

      Vor diesem Hintergrund, begrüßen wir Ihren Kommentar als wertvollen Beitrag zur Debatte. So wünschen wir uns das!

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