Beiträge für eine Lebendige Streitkultur in Karlsruhe

Schwerpunkt

Eine Chance für die Gesellschaft

Modell des BGE

Ohne Existenzangst seinen Teil beitragen

Das Bedingungslose Grundeinkommen markiert einen grundsätzlichen Unterschied zur heutigen Grundsicherung – eben die Bedingungslosigkeit! Die Gegner*innen des BGE befürchten vor Allem eines: dass viele Menschen sich damit in die Hängematte legen und der Arbeitswelt entziehen, weil kein Druck mehr da ist. Diese Vorstellung entspringt einem sehr pessimistischen Menschenbild. Wie der Mensch ist, bevor er von seinen Lebensumständen verändert wird, kann man an kleinen Kindern sehen: neugierig, wissbegierig, kreativ, dazugehören wollend. Wenn es ihm unterwegs nicht ausgetrieben wurde, hat auch jeder erwachsene Mensch den Wunsch, Teil der Gesellschaft zu sein, seinen Anteil zu leisten, seinen Platz zu haben, Anerkennung zu bekommen. Wir sind ein Zoon Politikon – ein Lebewesen, das die Gemeinschaft braucht.

Wenn man Menschen, die meist aus unverschuldeten Gründen keine Arbeitsstelle mehr finden und Hartz4 beziehen, bei Annahme kleinerer Job-Angebote den Großteil des Verdienstes wegverrechnet, muss man sich nicht wundern, wenn die Motivation zur Aufnahme solcher Arbeit gering ist. Bei bezahlter Arbeit drückt sich die Wertschätzung im Allgemeinen, durch einen einigermaßen angemessenen Verdienst aus. Die Systematik eines Bedingungslosen Grundeinkommens hat diesen negativen Effekt nicht. Erwerbseinkommen bleibt wie bisher bis zu einer gewissen Höhe steuerfrei, addiert sich also zum Grundeinkommen dazu. Jeder Euro, den jemand, der weitgehend vom BGE lebt, dazuverdient, bleibt ihm auch. Die Motivation, kleinere oder saisonale Jobs anzunehmen, steigt. Das BGE ist existenzsichernd und soll gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Es nimmt die Angst vor dem Absturz. Wie viele Menschen, die tolle innovative Ideen haben, mit denen sie sich gern selbständig machen würden, setzen diese Ideen nicht um, weil sie Angst vor dem Absturz haben oder vor einer zu langen Anlaufphase, bis sie mit ihrer Idee wirklich Geld verdienen! Wie viele junge Menschen folgen ihrem eigentlichen Berufswunsch nicht, weil dieser Beruf keine Sicherheit verspricht, sondern absehbar immer wieder Phasen von schlechtem oder gar keinem Verdienst enthält! Wieviel Kunst, Innovation, Ideenreichtum, StartUp entgeht unserer Gesellschaft dank dieser – berechtigten! – Ängste. Und wieviel Engagement von Menschen, die anstatt ganztägig ihrer Erwerbsarbeit nachzugehen, sich viel lieber mit mehr Zeit in zivilgesellschaftlichen Projekten engagieren würden. Das zu tun was man will, ist nicht immer egoistischer Luxus, sondern kann gesellschaftlicher Mehrwert sein. Zu wissen, dass Such- und Anlaufphasen, Um-Orientierungszeiten, Weiterbildungen, Auszeiten und Phasen im Leben, in denen anderes wichtiger ist, abgesichert sind, setzt Potentiale frei. Davon profitiert die Gesellschaft.

Es ist unwahrscheinlich, dass sich Massen von Menschen, die bisher ohne Grundsicherung arbeiten, mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen in die Hängematte legen.

Dem Auseinanderdriften der Gesellschaft entgegenwirken

Neben einer dünner werdenden, gut situierten Mittelschicht haben wir auf der einen Seite einen auf relativ wenige Menschen konzentrierten Einkommens- und Vermögensreichtum, auf der anderen Seite Einkommen, die für angemessenen Wohnraum in Städten und einen durchschnittlichen Lebensstandard nicht mehr ausreichen, Kinder als Armutsrisiko und eine Hartz4-Schicht, die in vielen Bereichen vom Leben in unserer Gesellschaft schlichtweg abgekoppelt ist. Unsere Sicherungssysteme im Alter und bei Arbeitslosigkeit sichern nicht mehr richtig. Das führt zu immer mehr Chancenungerechtigkeiten und zu Verwerfungen in der Gesamtgesellschaft.

Auch das Gefühl persönlicher Freiheit fehlt vielen Menschen, denn die meisten haben entweder zu wenig Geld oder zu wenig freie Zeit oder sogar von beidem zu wenig.

Globalisierung, Auswirkungen von Konflikten in anderen Teilen der Erde bis zu uns und die im Raum stehende Digitalisierung der Arbeitswelt verunsichern zusätzlich und lösen Gefühle von Ohnmacht und Kontrollverlust aus. Neue politische Kräfte im Land spielen mit diesen Ängsten und steuern sie auf Hass und gesellschaftliche Spaltung. Stigmatisierung, Entmündigung, Ausgrenzung machen aus den Betroffenen am Ende oft das, was man ihnen unterstellt hat. Heute im Hartz4-Bezug lebende Menschen und sogenannte Aufstocker – Singles oder Familien, bei denen das Einkommen zur Existenzsicherung nicht reicht, haben keine Kontrolle des täglichen Lebens mehr, müssen sinnlose Bewerbungstrainings absolvieren, Massen von aussichtslosen Bewerbungen abschicken, jedes bisschen Besitz veräußern, bevor die staatliche Grundsicherung einspringt.

Die Angst, dass uns die (Erwerbs)Arbeit ausgeht, grassiert angesichts der Digitalisierung.

Anstatt in Verteilungskämpfe um ein knapper werdendes Gut zu laufen, sollten wir „Arbeit“ neu definieren. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen, das nicht viel mehr, aber vor Allem nicht weniger als die Grundbedürfnisse absichert, ist eine gute Basis für eine Gesellschaft motivierter, optimistischer, selbstvertrauender Menschen.

Wie wird das finanziert?

Das Arbeitslosengeld 2 und das Kindergeld gehen im BGE auf, das Arbeitslosengeld 1, Krankenversicherung und besondere Bedarfe von Menschen mit Behinderungen sollten nicht angetastet werden! Das BGE ist teurer als das heutige System, was aber kein ausreichender Grund ist, eine Reform abzulehnen, die gesellschaftlichen Mehrwert verspricht. Es ist wahrscheinlich, dass das BGE am Ende auch volkswirtschaftlichen Gewinn erzeugt. Erstmal aber muss die Einführung finanziert werden. Jeder Mensch, der Steuern zahlt, hat eine Beziehung mit dem Finanzamt. Zukünftig hätten dann alle diese Beziehung. Jede und jeder bekommt das Grundeinkommen. Bei Personen mit eigenem Einkommen gilt eine neu festzusetzende Steuerfreigrenze. Ist diese überschritten, verrechnet das Finanzamt die fällig werdenden Steuern zuerst mit dem Grundeinkommen. Sobald die zu zahlenden Steuern das Grundeinkommen überschreiten, verlangt das Finanzamt Zahlungen. Die Einführung eines BGE muss mit einer Steuerreform einhergehen, um nur diejenigen profitieren zu lassen, die diese staatliche Unterstützung auch brauchen, also Erwerbslose, Erwerbstätige mit geringem Einkommen, Kinder und Jugendliche, Rentner*innen ohne ausreichende Rente. Eine Steuerreform könnte endlich die Bezieher*innen sehr hoher Einkommen und Besitzer*innen sehr großer Privatvermögen, mehr als bisher in die gesellschaftliche Verantwortung nehmen. Die Mehrkosten eines Bedingungslosen Grundeinkommens sollten ein Stück weit durch eine Vermögens- oder Erbschaftssteuer bzw. einen höheren Spitzensteuersatz finanziert werden.

Von gesellschaftlichem Zusammenhalt, sozialem Frieden, einer optimistischen Gesellschaft und der Hebung innovativer und kreativer Potentiale profitieren alle. Das Bedingungslose Grundeinkommen ist keine eierlegende Wollmilchsau, die uns weiterer politischer Maßnahmen entledigt. Aber es ist durchaus ein Instrument, das geeignet ist, die Gesellschaft wieder mehr zusammenzuführen, Unsicherheiten und Ängste abzufedern und darüber hinaus brachliegende Potentiale menschlicher Stärken und Kreativität freizulegen. Es ist ein Instrument, das Sicherheit UND Freiheit stärkt.

Mehr zum Thema bedingungsloses Grundeinkommen in dieser Ausgabe:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht

*

Beiträge zum Thema Schwerpunkt

Nach oben