Wer wünscht sie sich nicht, eine lebenswerte Stadt. Eine Stadt mit viel Grün, ausreichend Arbeitsplätzen, Wohnraum, Kitas, Schulen und Geschäften, in der man ohne Staus sicher und schnell von A nach B kommt und auch seine kleinen Kinder unbesorgt allein auf die Straße lässt. Ist Karlsruhe so eine Stadt? Nun, sie ist zumindest auf einem guten Weg dorthin. Stellen wir die Gretchen-Frage: Betreibt Karlsruhe eine zukunftsfähige, nachhaltige Verkehrspolitik und will sie den Fuß- und Radverkehr stärken, um den Bürger*innen den Umstieg vom Auto aufs Rad und den ÖPNV schmackhaft zu machen? Der Öffentliche Nahverkehr ist gut ausgebaut. Karlsruhe ist diesbezüglich Vorbild für viele andere Kommunen. Doch wie fahrradfreundlich ist Karlsruhe? Die Meinungen dazu gehen weit auseinander – je nachdem, ob man Radfahrer*innen, Fußgänger*innen oder Autofahrer*innen befragt. Glaubt man den Medien, sind die Fronten unter Verkehrsteilnehmer*innen teilweise stark verhärtet, woran Medien mit ihrer martialischen Berichterstattung über den „Kampf auf der Straße“ nicht ganz unschuldig sind. Jede*r zeigt unversöhnlich mit dem Finger auf den oder die andere*n.
Radfahrer*innen weisen auf Mängel bei der Infrastruktur und das verkehrs-widrige Verhalten von PKW Fahrer*innen hin. Aus Sicht der Fußgänger*innen und PKW Fahrer*innen stellt sich die Lage genau andersherum dar. In ihren Augen werden wir Radfahrer*innen – allesamt Rambos auf zwei Rädern – verhätschelt, während sie peu à peu aus dem Verkehrsraum verdrängt werden. Wer hat jetzt recht? Werden wir Radfahrer*innen tatsächlich bevorzugt behandelt? Was hat sich in den letzten Jahren in Karlsruhe in Sachen Radinfrastruktur und Verkehrssicherheit getan? Auf der Haben-Seite kann die Stadt u.a. 12 Fahrradstraßen, einen brandneuen Geh-/Radweg vom Zündhüttle nach Hohenwettersbach und eine neue Fahrradstation mit rund 600 Abstellplätzen am Bahnhof verbuchen. Auch der innerstädtische Aufbau von Schutz- u. Radfahrstreifen wurde vorangetrieben, wobei anzumerken ist, dass insbesondere Schutzstreifen unter Radfahrer*innen nicht ganz unumstritten sind. Wie sieht es in puncto Verkehrssicherheit aus? Laut Unfallbilanz des Polizeipräsidiums Karlsruhe kam es 2017 zu 624 Verkehrsunfällen, an denen Radfahrer*innen beteiligt waren. Verglichen mit 2016 (654) ist zwar ein leichter Rückgang zu erkennen, aber die Zahlen bewegen sich weiterhin auf hohem Niveau. Bei 88% dieser Unfälle kamen Personen zu Schaden. Hierbei wurden 86 Radfahrer*innen schwer und 447 leicht verletzt. Fünf Radfahrer*innen (3 x Rad, 2 x Pedelec) verunglückten tödlich. Von Vision Zero sind wir also noch weit entfernt. Vielen Teilnehmer*innen der Critical Mass dauert die Umsetzung des Karlsruher 20-Punkte-Programms zur Förderung des Radverkehrs einfach zu lange. Radfahrstreifen, die abrupt in Parkplätze münden, Schutzstreifen, die nicht wirklich schützen und verblichene Piktogramme, die eine Straße zwar als Fahrradstraße ausweisen, in der PKW-Fahrer*innen aber keine Rücksicht auf Radfahrer*innen nehmen: die aktuelle Situation ist nicht das, was wir unter einer konsequenten Umsetzung des ehrgeizigen Programms verstehen.
Ob wir, die Critical Mass-Bewegung, einen konkreten Einfluss darauf haben, wo und wie schnell die einzelnen verkehrspolitischen Pläne der Stadtväter umgesetzt werden, lässt sich nicht an Daten und Fakten festmachen. Aber steigende Teilnehmerzahlen bei der immer am letzten Freitag des Monats stattfindenden Radtour durch die Stadt erlauben die Interpretation, dass es vielen Karlsruher Radfahrer*innen nicht schnell genug geht mit dieser Umsetzung. Im Gegenteil, manche sprechen hier sogar schon wieder von Rückschritt und sehen Karlsruhe weiter von einer fahrradfreundlichen Stadt entfernt als zuvor. „I have a dream“, sagte Martin Luther King in seiner wohl berühmtesten Rede. Auch wir haben Träume, Visionen und Wünsche. Manche lassen sich in unseren Augen zeitnah realisieren, andere brauchen konsequenten politischen Willen, denn, wenn man den Radfahrer*innen Verkehrsraum geben will, muss man ihn notgedrungen anderen Verkehrsteilnehmer*innen nehmen. Das ist unpopulär und könnte potentielle Wähler*innen verschrecken. Nächstes Jahr sind Kommunalwahlen in Baden-Württemberg. Man darf also schon jetzt gespannt sein auf die Versprechungen der einzelnen Parteien in Sachen Verkehrswende und nachhaltiger urbanen Mobilität.
Unsere Wunschvorstellungen zur Verkehrssicherheit und Radinfrastruktur in Karlsruhe lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Wir plädieren für ein generelles Überholverbot für PKW in Fahrradstraßen. Ohne dieses Verbot sind Fahrradstraßen im Grunde nur 30er-Zonen. Solange Autofahrer ignorieren, dass Radfahrer Vorrang in Fahrradstraßen haben, reicht es einfach nicht, ein paar Schilder aufzustellen und etwas Farbe auf der Straße zu verteilen. Auch das Ausweisen reiner Fahrradstraßen oder zumindest ein Beschränken des MIV auf Anwohner wäre eine Möglichkeit, Radfahrenden den Raum und die Rechte zu geben, die ihnen per Gesetz hier sowieso zustehen.
Baulich getrennte Radwege statt Schutz- oder Radfahrstreifen stehen ebenfalls ganz oben auf der Wunschliste vieler Radfahrer. Wo würden wir unsere Kinder eher alleine mit dem Rad fahren lassen: auf einem schmalen, womöglich noch zugeparkten Schutzstreifen oder auf einem baulich von der Fahrbahn getrennten Radweg?
Der Radverkehrsanteil am Gesamtverkehr betrug bereits 2012 25 % und ist in den letzten sechs Jahren weiter gewachsen. Leider ist die Zahl der Fahrradabstellplätze nicht im selben Maße angestiegen. Überdachte Fahrradabstellplätze bzw. zentral gelegene Fahrradstationen, ähnlich der jüngst am Bahnhof eröffneten, könnten hier Abhilfe schaffen.
Schwarze Schafe gibt es unter allen Verkehrsteilnehmern. Mehr Polizeikontrollen in der Karlsruher Innenstadt, insbesondere auf Fahrradstraßen und an gefährlichen Kreuzungen, würden helfen, diese schwarzen Schafe aus dem Verkehr zu ziehen. Verstöße wie zu dichtes Überholen, Abbiegen ohne Schulterblick, Geschwindigkeitsüberschreitungen und Parken auf Radwegen, aber auch Rotlichtverstöße, Geisterfahrer und widerrechtliches Fahren auf Gehwegen müssen konsequenter geahndet werden.
Unsere lebenswerte Stadt der Zukunft hat eine autofreie City mit einer weitläufigen, zum Flanieren und Verweilen einladenden Fußgängerzone. Um diese Fußgängerzone herum gibt es ausreichend Parkhäuser für den MIV und sichere Fahrradabstellplätze. Die meisten Besucher kommen mit dem Rad oder ÖPNV in diese Stadt, aber auch PKW-Fahrer finden ausreichend Parkmöglichkeiten.