Beiträge für eine Lebendige Streitkultur in Karlsruhe

Stadtleben

Keiner von uns

Kritische Einwürfe zum historischen Luther

Fällt unangenehm auf: Martin Luther. (Bild: Thomas Keith)

Anlässlich des 500-jährigen Reformationsjubiläums wurden im Rahmen des Projekts „Luther – einer von uns“ in Karlsruhe 22 Büsten des Bildhauers Harald Birck aufgestellt. Sie zeigen bedeutende und weniger bedeutende lokale Persönlichkeiten, die alle etwas mit Luther zu tun haben sollen, so etwa Ex-OB Gerhard Seiler (zum Verhältnis von Kommunalpolitik und Glaube) oder Braumeister Rudi Vogel („Brauen und Gott vertrauen.“). Eine Büste des Reformators hat sich die katholische Kirche in vorauseilendem ökumenischen Gehorsam, „voller Ehrfurcht und kritischer Loyalität“, wie es Pastoralreferentin Antke Wollersen formuliert, gar in ihre ‚Citykirche‘ St. Stephan geholt.

„In jedem Menschen, der mir zurzeit begegnet, steckt ein Martin Luther“, behauptet Dirk Keller, Leiter des Projekts und Pfarrer an der Stadtkirche Karlsruhe.

Der historische Luther ist mindestens janusköpfig. Neben explizit christlichen Aussagen stehen Schriften, die genau das Gegenteil der Botschaft Christi ausdrücken: Intoleranz, Hass, Gewalt, Mord und Totschlag. Diese finstere Seite Luthers ist längst erforscht, scheint aber in der Euphorie des Jubeljahres vergessen oder verdrängt zu werden.

Luther verkörpert Intoleranz. Alle, die nicht seine Meinung teilten, nicht nur Katholiken, auch andere Reformatoren, titulierte er als „Sau“, „Teufel“ oder „Antichrist“.

Christen verzichten darauf, sich gegen die Obrigkeit zu empören.

Luther unterwarf seine neue Konfession der Herrschaft deutscher Fürsten anstelle der des Papstes. So entstanden Landes- und Staatskirchen unter weltlicher Obrigkeit. Religion und Moral wurden der Staatsgewalt untergeordnet. Die lutherischen Landesherren konnten mit dem von ihnen ernannten Klerus ihre Untertanen kontrollieren und disziplinieren. Der weltlichen Macht sei grundsätzlich Gehorsam geschuldet; und wenn die Obrigkeit Krieg befiehlt, müsse gehorcht, gekämpft, gebrannt und getötet werden – mit solchen Proklamationen begründete Luther den deutschen Untertanengeist. Statt sich wie in Frankreich oder England individuelle Freiheits- und Menschenrechte zu erkämpfen, wurde in deutschen Landen im Anschluss an Luther Freiheit in einen geistlichen oder geistigen Bereich verlegt.

Exemplarisch artikuliert sich die Unterwürfigkeit unter fürstliche Macht und kriegerische Gewalt in der schwer erträglichen Kampfschrift gegen den Aufstand der Bauern „Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern“ (1525): „man soll sie zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss“. Für einen Bauer, der gegen sein wirtschaftliches Elend und für seine soziale Befreiung rebellierte, war Luthers Freiheit nicht gemeint – der stand für ihn außerhalb des göttlichen Gesetzes. Geschätzt 100.000 Bauern, die ihre Hoffnungen auf den Reformator gesetzt hatten, wurden nach seinem Aufruf auf teilweise bestialische Weise hingerichtet.
Was sich nach der historischen Erfahrung der Schoah besonders erschreckend liest, ist Luthers extremer Judenhass. Die einschlägige Kampfschrift „Von den Juden und ihren Lügen“ (1543) enthält alle Versatzstücke neuzeitlicher europäischer antisemitischer Dekrete: die Annahme einer jüdischen Weltverschwörung, die Behauptung, die Juden seien der Christen Unglück, nicht nur Wucherer, sondern auch Brunnenvergifter oder Kindsentführer, kurz: Teufel. Es folgen Anordnungen, was mit den Juden zu tun sei, nämlich Enteignung, Verpflichtung zur Zwangsarbeit, Vertreibung und Liquidierung. Aufrufe zur Eliminierung der Juden waren auch zu Luthers Zeiten keineswegs an der Tagesordnung. Die bekannten Relativierungsversuche – früher vs. später Luther, Antijudaismus vs. Antisemitismus etc. – erscheinen unangemessen für die Beurteilung der historischen Verantwortung Luthers. Es war in der Nacht auf seinen Geburtstag, in der 1938 die Synagogen in Deutschland brannten.

Zu diesem Beitrag haben uns zwei Reaktionen erreicht: Große Bäume werfen lange Schatten – Zwei Repliken auf die Luther-Kritik

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