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Stadtpolitik

„Engpässe als Folge der Kürzungen“

Interview mit Ulrike Sinner

Im April 2015 begann der Haushaltsstabilisierungsprozess in Karlsruhe, da der Stadt ein ansteigendes Defizit im Ergebnishaushalt in den Jahren 2017-2022 von insgesamt 404 Mio. Euro prognostiziert worden war. 2016 wurde ein erstes Maßnahmenpaket für den Doppelhaushalt 2017/18 beschlossen, darin enthalten Pauschalkürzungen an Sozialverbände um 9% der Zuschüsse.

Die Druckschrift führte ein schriftliches Interview mit Ulrike Sinner, Regionalgeschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes über die Auswirkungen.

DS: Vom ersten Maßnahmenpaket waren viele Sozialverbände betroffen, unter anderem wurde der Zuschuss für den Paritätischen um etwa 300.000 Euro pro Jahr gekürzt. Was bedeutet das im Konkreten, welche Projekte waren vom ersten Maßnahmenpaket wie stark betroffen?

Ulrike Sinner: Von den Kürzungen des ersten Sparpakets waren 17 Mitgliedsorganisationen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes mit rund 40 Projekten betroffen, darunter viele Einrichtungen, wie die Beratungsstelle der Aids-Hilfe und die Mediensuchtberatung, spezielle Angebote für Frauen wie der Tagestreff für wohnungslose Frauen und das Frauenhaus, der Kinderschutzbund, der Freundeskreis Asyl, die Bildungsangebote des Vereins für Jugendhilfe, die Hilfen für Suizidgefährdete des Arbeitskreis Leben, integrationsfördernde Angebote der Lebenshilfe, der Reha-Südwest und des Gehörlosenverbandes. Auskünfte über konkrete Auswirkungen geben die jeweiligen Organisationen.
Generell sind alle Empfänger von Freiwilligkeitsleistungen Jahr für Jahr von realen Kürzungen betroffen. Die freiwilligen Zuwendungen der Stadt Karlsruhe sind zuletzt im Jahr 2007 und im Jahr 2015 jeweils um 3 Prozent erhöht worden. Die Entwicklung der Zuschüsse ist weit hinter der Kostenentwicklung, verursacht durch Tarifabschlüsse, zurück geblieben. Der PARITÄTISCHE setzt sich folgerichtig dafür ein, die Kürzungen zurückzunehmen und die Freiwilligkeitsleistungen jährlich um 3 Prozent zu erhöhen. Im Sinne der Planungssicherheit ist es für gemeinnützige Organisationen wichtig, dass sich die Zuschüsse zukünftig kontinuierlich entsprechend der tariflichen Erhöhungen entwickeln. Für eine Erhöhung kommunaler Zuschüsse spricht, dass der Anteil, den die Vereine selbst finanzieren, selbst bei gleichbleibenden Personalressourcen, kontinuierlich gewachsen ist und weiter wächst, da die Personalkosten sich permanent nach oben bewegen. Gemeinnützige Organisationen erwirtschaften jedoch keine Gewinne, aus denen sie schöpfen könnten. Sie haben keine großen Vermögen oder sonstiges Kapital, das Geld abwerfen könnte. Seit Jahren wird es schwieriger, Zuwendungen von Dritten, zum Beispiel Spendengelder, zu bekommen. Das Spendenaufkommen ist nicht planbar.

DS: Wie wirkt sich das auf die Angestellten aus und wie auf die Nutzer*innen der Angebote?

Ulrike Sinner: Die Kürzung der Zuschüsse im Jahr 2017 hat zur Verschlechterung in der Qualität der Dienstleistungen mit negativen Folgen für NutzerInnen und Mitarbeitende geführt. Als Folge der Zuschusskürzung im Rahmen der Haushaltskonsolidierung mussten Standards gesenkt werden. Abstriche wurden in erster Linie bei Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit sowie bei Fortbildungen und Supervision für Haupt- und Ehrenamtliche gemacht. Freie Träger mussten Personalstunden reduzieren, Öffnungszeiten von Beratungsstellen wurden verringert und damit das Beratungsangebot für Betroffene verknappt mit der Folge längerer Wartezeiten. Gleichzeitig stieg die Nachfrage nach Beratung in vielen Bereichen sozialer Arbeit. Insgesamt erhöhte sich die psychische Belastung der Mitarbeitenden nicht zuletzt durch die Verdichtung der Arbeit.

DS: Wie wurde die Kürzung unter den verschiedenen Mitgliedsorganisationen aufgeteilt? Hat das zu Konflikten geführt?

Ulrike Sinner: Nennenswerte Konflikte gab es nicht. In Verhandlungen mit der Kommune erreichten die Ligaverbände eine Begrenzung der Einsparungen auf neun Prozent und verhinderten Kürzungen bei Mieten und komplementär finanzierten Projekten. Dadurch ließen sich die Kürzungen für alle Träger eingrenzen. Jede unserer Mitgliedsorganisationen ist rechtlich selbstständig und erhielt von der Sozialverwaltung einen Bewilligungsbescheid, aus dem der gekürzte Betrag hervorging. Durch die frühzeitige Information des PARITÄTISCHEN blieb den Mitgliedern Zeit, praktikable Maßnahmen zu planen und umzusetzen. Mit Hinweis auf die rechtliche Selbstständigkeit seiner Mitglieder setzte der PARITÄTISCHE durch, dass betroffene Träger selbst entscheiden, wie sie die Kürzung umsetzen. Das transparente Vorgehen des PARITÄTISCHEN löste unter den Mitgliedern eine Haltung der Solidarität großer/ starker Träger mit kleineren Trägern aus. Das hat eindrucksvoll eine gemeinsame Pressekonferenz des PARITÄTISCHEN Kreisvorstands mit Vertretern von 12 Mitgliedern gezeigt.

DS: Sie haben bereits den Gemeinderat aufgefordert, die Kürzung zurückzunehmen. Wie waren bislang die Reaktionen?

Ulrike Sinner: Als Dachverband rechtlich selbständiger Mitgliedsorganisationen hat sich der PARITÄTISCHE im Mai 2018 mit seinen Forderungen an alle Fraktionen des Karlsruher Gemeinderates gewandt. Die KULT-Fraktion steht einer Rücknahme der Kürzungen im Bereich Freiwilliger Leistungen grundsätzlich wohlwollend gegenüber und hat die Thematik für den Doppelhaushalt 2019/2020 auf ihrer Agenda. Schon in der ersten Sparrunde forderte der PARITÄTISCHE, Chancengerechtigkeit in der Spardebatte, Transparenz im Kürzungsverfahren, Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bei freien Trägern und keine Kürzungen bei weiteren Sparrunden.

DS: Wie schätzen Sie die Chancen der Umsetzung dieser Bitte ein? Was befürchten Sie, wird passieren, wenn der Gemeinderat die Kürzung nicht zurücknimmt?

Ulrike Sinner: Wir sehen es als Erfolg an, dass die Gemeinderäte sich 2016 explizit mit den Auswirkungen der Kürzungen auf einzelne Mitgliedsorganisationen beschäftigt und versucht haben, Härten insbesondere für Selbsthilfeorganisationen zu vermeiden. Jetzt appellieren wir an die Gemeinderäte, ein Versprechen einzulösen: die Einsparungen zurückzunehmen, wenn es zu Engpässen kommt. Die Engpässe haben wir für die PARITÄTISCHEN Mitgliedsorganisationen mit unserer Umfrage eindeutig belegt. Angesichts der realen Engpässe als Folge der Kürzungen erwarten wir, dass die politisch Verantwortlichen dieser Besorgnis erregenden Entwicklung entgegen steuern, die Einsparungen im Doppelhaushalt 2019/2020 zurücknehmen und die Dynamisierung der Freiwilligkeitsleistungen beschließen. Freiwilligkeitsleistungen sind Investitionen in das Sozialwesen unserer Stadt und damit genau so wichtig wie Investitionen in die Infrastruktur. Weitere reale Kürzungen im Sozialen schwächen den Wirtschaftsstandort Karlsruhe. Das kann niemand wollen.

DS: Soweit mir bekannt ist, sind Sie bislang der einzige Verband, der von der Stadt Karlsruhe die Rücknahme der Kürzung gefordert hat. [Aktualisierung: Inzwischen hat auch der Caritasverband die Gemeinderatsfraktionen aufgefordert, die Wiedereinsetzung des Kürzungsbetrages zu beantragen] War es eine schwierige Entscheidung, diesen Schritt zu gehen? Welche Bedenken gab es dagegen?

Ulrike Sinner: Der ehrenamtliche Kreisvorstand des PARITÄTISCHEN Kreisverband Karlsruhe traf diese Entscheidung, weil sie folgerichtig ist. Die Forderungen ergeben sich schlüssig aus unserem bisherigen Vorgehen: Im Frühjahr 2016 befragte der PARITÄTISCHE seine Mitglieder zu den möglichen Auswirkungen der geplanten Kürzungen. Die Zusammenfassung der möglichen Effekte der Sparmaßnahmen wurde von der Politik als inhaltlicher Impuls genutzt, Kürzungen differenziert zu behandeln. Für einzelne Organisationen bedeutete das eine Halbierung der Kürzungen, in Einzelfällen sogar den Verzicht. So konnten Härtefälle vermieden werden. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die möglichen Konsequenzen von der Öffentlichkeit gehört werden, wenn sich Vereine und Verbände mit transparenten Kriterien und klaren Zielen positionieren.

Die Druckschrift bedankt sich für die Auskünfte. Die Fragen stellte Katharina Breier von der Redaktion.

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