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Arbeitswelt

Erzwungene Emigration: Auf Arbeit in Karlsruhe

Wegen fehlender Perspektiven haben drei junge Basken Ihre Heimat verlassen

Arbeitssuchende vor dem Arbeitsamt in Madrid. (Foto: vozpopuli)

Zwangsräumungen sind das eine Symbol für den wirtschaftlichen Niedergang Spaniens seit der 2008 geplatzten Immobilienblase geworden. Jahrzehntelang hatte die Baubranche geboomt und war Träger des Wirtschaftswachstums. Ab 2008 konnten abertausende Menschen ihre Miete oder Kredite plötzlich nicht mehr finanzieren und verloren ihre Wohnungen und Häuser. Und die Welle der Zwangsräumungen will nicht abebben: 2013 wurden 67.189 Räumungen vollstreckt, für 2014 wird eine noch höhere Zahl an vollstreckten Räumungen erwartet. Das andere Symbol ist die Arbeitslosigkeit, die seit Jahren deutlich über 20 Prozent liegt. Sie betrifft überproportional junge Menschen.

Sie sind jung, gut ausgebildet und perspektivlos. Spanien ächzt unter einer Jugendarbeitslosenquote von über 50 Prozent. Nach Deutschland kommen sie meist in Gruppen und nehmen an Austauschprogrammen unterschiedlicher Träger teil, die darauf abzielen, eben jene gut ausgebildeten junge Menschen in den hiesigen Arbeitsmarkt zu integrieren. Denn wo sie herkommen, müssen sie gehen, und wo sie hingehen, ist nach offiziellem „Facharbeitermangel-Sprech“ ihr Zuzug und ihre Integration erwünscht.

Iuri, 24 Jahre, Jon, 23 Jahre, und Christian, 22 Jahre, kommen aus dem Baskenland. Sie sind Automechaniker, Bauingenieur und Fachinformatiker. Nach ihren jeweiligen Fachabschlüssen sahen sie sich mit der aktuellen Realität des spanischen Arbeitsmarktes konfrontiert. Konnten sie eine Arbeitsstelle erhaschen, so handelte es sich um eine mies bezahlte, befristete Beschäftigung. Für diese Beschäftigungsverhältnisse existiert nahezu kein Kündigungsschutz, so dass junge Menschen ziemlich einfach auf die Straße gesetzt werden können. Christian musste diese Erfahrung machen, als er nach einem Jahr Beschäftigung mit 20 weiteren jungen Menschen vor die Tür gesetzt wurde, Iuri verlor nach sechsmonatiger Beschäftigung bei einem Reifenservice seine Stelle und Jon fand erst gar keine Anstellung nach Abschluss seines Studiums. Die Wucht der Krise erfasste in seinem Fall auch das familiäre Umfeld. Die kleine Baufirma seines Vaters stand kurz vor dem Bankrott.

Alle drei begriffen daher die Option, in Deutschland Arbeit zu suchen als große Chance, die spanischen Agenturen für Arbeit ihrerseits waren froh, sie aus ihrer Statistik streichen zu können. Jon und Christian kamen im September 2014 mit einer Gruppe von 22 jungen Basken und Baskinnen nach Deutschland. Zehn davon waren alleinerziehende Mütter, die nach Augsburg vermittelt wurden, die zwölf anderen kamen nach Karlsruhe. Iuri kam bei seinem ersten Versuch, in Deutschland Fuß zu fassen, mit einer Gruppe von 25 Personen nach Hannover. Die Austauschprogramme sehen dann im Regelfall zunächst ein dreimonatiges Praktikum in einem Unternehmen vor, das im besten Fall in eine nachfolgende Anstellung mündet. Tatsächlich funktioniert dieser Mechanismus jedoch nahezu nicht: Aus der Gruppe von Jon und Christian blieb niemand nach Ablauf des Praktikums – außer ihnen beiden. Aus der Gruppe von Iuri blieben drei. Er selbst war nicht darunter. Er kehrte zunächst ins Baskenland zurück, um wenig später einen weiteren Anlauf in Deutschland – diesmal in Karlsruhe – zu nehmen.
Jon arbeitet heute in einem kleinen Gutachterbüro in der Nähe von Karlsruhe. Er hat eine 65 %-Stelle, für die er € 1.000,- brutto erhält. Er besucht einen Sprachkurs, den sein Arbeitgeber bezahlt, und lebt bei der Mutter seines Chefs zur Untermiete für € 300,-. Christian hat eine volle Stelle bei einer Firma, deren Homepage er ins Spanische übersetzen soll. Hierfür bekommt er € 2.200,- brutto. Iuri besucht auf eigene Kosten einen Sprachkurs und hat eine Stelle beim Autoservice ATU in Aussicht. Zur Probearbeit musste er nach Nürtingen, seine Arbeit wird er am 1.März jedoch in einer noch nicht festgelegten Stadt irgendwo in Deutschland antreten dürfen (oder müssen). So weit, so mäßig attraktiv.

Von 47 blieben lediglich fünf

Der skizzierte Verlauf der erzwungenen Emigration und der Arbeitssuche von Iuri, Jon und Christian wirft Fragen auf. Die offensichtlichste ist die nach dem Scheitern der Integration: Warum blieben von 47 jungen Menschen lediglich fünf in Deutschland, wo doch das Interesse sowohl der Emigranten als auch der Arbeitskräfte suchenden Unternehmen vorausgesetzt werden kann? Christian hat die Frage sinngemäß damit beantwortet, indem er sagte, dass für seine Tätigkeit die Kenntnis der deutschen Sprache nur eingeschränkt notwendig sei. Jon sagte, dass er hier – im Gegensatz zum Baskenland – immerhin „existieren“ könne und Iuri fasste knapp zusammen, dass Deutschland eben nicht das Paradies sei.

Tatsächlich scheinen die Austauschprogramme mit Fehlern behaftet zu sein und vor allen Dingen die sozialen Bedürfnisse zu wenig zu berücksichtigen. Denn die Auswanderung aus der Not ist keine Entscheidung aus Freiwilligkeit. Die Heimat, Familie, FreundInnen und PartnerInnen werden anders und intensiver vermisst, wenn die Entscheidung zu gehen erzwungen und nicht selbstbestimmt getroffen wird. Übereinstimmend berichteten Jon, Christian und Iuri, dass die fehlenden Sprachkenntnisse ein großes, wenn nicht das größte Problem bei der Übernahme nach dem Praktikum in eine dauerhafte Beschäftigung gewesen seien. Denn gerade bei qualifizierten Tätigkeiten ist die Fähigkeit, zu verstehen und sich mitteilen zu können, unabdingbar. Sie kamen, wie die meisten anderen, ohne oder nur mit rudimentären Sprachkenntnissen nach Deutschland. Den Firmen fehlten im Regelfall die Geduld und der Wille, in den Aufbau der Sprachkenntnisse der Emigranten zu investieren. Darüber hinaus fehle Ihnen jede Unterstützung bei behördlichen Angelegenheiten. Von der Schwierigkeit, eine bezahlbare Wohnung zu finden, ganz zu schweigen.
Freund- oder Bekanntschaften zu Deutschen hat bis heute noch keiner von Ihnen geknüpft. Ob sie bleiben werden, ist ungewiss. Keiner der drei möchte ausschließen, dass der Aufenthalt in Karlsruhe lediglich eine Episode in ihrem Lebenslauf ist. Und es scheint, als spiele der Mangel an sozialer Integration dabei eine große Rolle. Eine Freundin aus dem Baskenland kam nicht, weil sie musste, sondern weil sie zu ihrem Partner ziehen wollte. Sie wird bleiben. Arbeit ist eben nicht alles.

Nachtrag: Jon und Christian haben mittlerweile eine Wohnung gefunden und eine kleine Wohngemeinschaft gegründet. Iuri wird aller Voraussicht nach von ATU in Tübingen eingesetzt werden. Und meine Bekannte aus dem Baskenland? Sie möchte nicht, dass der Eindruck in dem Artikel vermittelt wird, sie sei gekommen, weil ihr Partner arbeitet und für sie sorgt. Denn für sich sorgen möchte sie selbst – egal ob im Baskenland oder in Karlsruhe. (jk)

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