Beiträge für eine Lebendige Streitkultur in Karlsruhe

Stadtleben

Etwas ist faul und aus den Fugen

10 Jahre Jugendtheater mit Hamlet

Stimmig: Unwiderstehlich Böse – die hinreißende und durchtriebene Königin (Foto: Dirk Flackus)

Sein – Schein – nicht sein. Der Plot ist klar. Vatermord, Thronfolgestreit, Rache, Liebe – ein Machtspiel, in dessen Zentrum Hamlet, mit seiner persönlichen Zerrissenheit steht. Ein klassisches Shakespeare Drama, mit vermeintlich starken Charakteren – denn wie wirksam die gewohnte patriarchale Sichtweise auf den Eindruck ist, vergegenwärtigt sich erst, wenn die Rollen verkehrt und ein Matriarchat gezeichnet werden. Das erzeugt einen Effekt im Inneren Zuschauender, der in beide Richtungen wirkt. Eine seltsame Mischung aus Empörung, über offen dargestellte Unterdrückung einerseits – ein wohlbekanntes Gefühl. Auf der anderen Seite ein Unbehagen, eine innere Ablehnung der absurd anmutenden Konstellation, in der eigenen Rollenprojektion.

Femme fatale, Homme fragile

Eine durch und durch böse, kalt berechnende Claudia, die ihre Nebenbuhlerin heimtückisch ermordet, um selbst den Thron zu besteigen – das wirkt plausibel. Und auch die Rachsucht der toten Mutter, die auf die Tochter Hamlet übergeht und deren Ehrenentscheidung gegen die Liebe und für den Machtkampf um das Bluterbe, sind Motive, die vielleicht im Shakespeare Kontext unüblich, heutzutage aber für weibliche Figuren nicht mehr ausgefallen anmuten.

“Haste me to know’t, that I, with wings as swift

As meditation or the thoughts of love,

May sweep to my revenge.”

(„Eil, ihn zu melden, daß ich auf Schwingen, rasch

Wie Andacht und des Liebenden Gedanken,

Zur Rache stürmen mag!“), Hamlet

In allen Lebensbereichen und nicht zuletzt in Literatur und Kunst, gehören starke Frauen – im guten und schlechten Sinne, ob heldenhaft oder intrigant, zum gewohnten Bild. Regisseurin Jacqueline Frittel sagt demgemäß: „Ich wüsste nicht, welche Rollen ich meinen Mädels [bei Hamlet] hätte anbieten sollen.“ Die Schauspielerinnen seien starke Rollen gewohnt.

Ganz anders verhält es sich im gegensätzlichen Rollentausch, wenn Ophelio (Ophelia) beispielhaft vom Vater Polonius ermahnt wird, sparsamer mit der „jungfräulichen Gegenwart“ umzugehen und dem typischen klassischen Frauenbild entsprechend, naives Opfer, bloß Spielball im Frauenspiel der Macht ist. Das fordert Schauspieler und Zuschauende gleichermaßen, wenn letzteren der Spiegel vorgehalten wird, ob der Urteile, wie Hamlets „Schwachheit, dein Name ist Mann!“, die innere Irritation hervorrufen.

Nicht Stellungnahme, sondern ein Experiment

„Von Anfang an stand die Idee: Was wäre wenn?“, beschreibt Jaqueline Frittel, das Zustandekommen der ungewöhnlichen Inszenierung von Hamlet. Es habe einen Diskurs in der Gruppe gegeben, letztlich wollte man das Stück machen aber umgestalten. Die Darstellung einer matriarchalen Gesellschaft solle keine inhaltliche Positionierung im Genderdiskurs, vielmehr ein Experiment sein, für die Schauspielgruppe selbst und das Publikum, das durch ein bizarres Spiel vielleicht zum Nachdenken über das eigene Verständnis von Mann und Frau gebracht wird.

Vor allem für die männlichen Darsteller sei das eine große Herausforderung. Sich in die dramatypische Frauenrolle hinein zu denken, war mit anfänglichen Berührungsängsten verbunden. Nach und nach habe sich für die ganze Gruppe ein aufregendes und faszinierendes Abenteuer entwickelt, mit seltsamen, komischen und auch lehrreichen Situationen.

Vielleicht entspringt der Verkehrung Erkenntnis und daraus der Wandel.

„Die Zeit ist aus den Fugen…“ erkennt Hamlet, und schickt sich  „…Fluch ihren Tücken, dass ich zur Welt kam, sie zurecht zu rücken.“

Flügge geworden

Das „Jugendtheater Rastatt“ feiert mit der Premiere am 11. April 2018, sein 10-jähriges Jubiläum und die Neugründung des eigenständigen Vereins „Phoenixtheater Rastatt, e.V.“. Das Ensemble und der Verein bieten auch Workshops für theaterinteressierte Jugendliche und freuen sich über Zuwachs, Unterstützung rund ums Theater und Förderung.

Kontakt gibt es auf www.leben-ohne-maske.de.

Weitere Vorstellungen finden im April und im Rahmen des, vom Phoenixtheater organisierten Jugendtheaterfestivals Ende Juni statt. Details zu den Aufführungen finden sich auf unserem Veranstaltungskalender unter www.druckschrift-ka.de/veranstaltungen-in-karlsruhe.

Laßt euer eignes Urteil euren Meister sein

Man kann sich auf eine moderne Inszenierung, mit gewohnt ausdrucksstarken Bildern, mutigen und frischen Elementen, Tanz und Musik freuen. Die Darstellenden gehen in ihren Rollen auf. Die Besetzung ist stimmig. Vor diskretem Bühnenbild, mit ansprechenden Kostümen, kongruieren Sprache und Bilder, die furchteinflößende, anziehende und berührende Eindrücke erwecken. Der Mensch, mit seinen Widersprüchen und Sehnsüchten im Mittelpunkt stehend, erzeugt das Schauspiel eine seltsame Mischung aus Empörung, Unbehagen und Selbstreflektion. Zweifellos sehenswert – ein besonderes Erlebnis. Doch was das Experiment mit dem Stück und einem selbst macht, sei Zuschauer und Zuschauerin überlassen.

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