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Kultur

Leben ohne Maske

Jugendtheaters Rastatt: Theater ist mehr als Unterhaltung

"Nach dem Bombenangriff, Premiere von “Sternschnuppenzeit” 16.09.15” (Bild: Martina Holbein)

Beim Theater gehe es darum, den Zuschauenden Fragen zu stellen, „Denkanstöße statt Antworten“ zu geben, welche die Menschen dazu bringen, sich mit etwas auseinanderzusetzen und sich ein eigenes Bild zu machen, erklärt Tamino, einer der Darsteller des Jugendtheaters Rastatt. Dementsprechend wählt das Ensemble unter der Leitung von Theaterpädagogin, Autorin und Regisseurin Jacqueline Frittel auch Stücke aus, die soziale Themen und Konflikte behandeln. Die Stücke schreibt Jacqueline meist selbst oder ein Roman dient als Vorlage.
Gestartet ist das Theater 2009 mit „Something Special“, einem Stück über Jugend, Vertrauen und Ausgrenzung. 2010 wurde in „Jugend ohne Gott“ nach Horvàth, das 1934 spielt, Gewaltbereitschaft und Gruppendynamik zu Zeiten des NS thematisiert. Die Gruppe sucht sich Stücke aus, die vorwiegend für Jugendliche interessant sind, die sie in ihrem Leben selbst bewegen. Zum Repertoire gehören Stücke über Drogenabhängigkeit, Sexualität, Liebe und Identitätsfindung. „Etwas über sich selbst zu lernen“, darum gehe es beim Schauspielen eben auch. Aber auch politische Themen spielen eine Rolle. In „Weggesperrt“ (2014) nach Poppe wurde die Geschichte von Anja erzählt, die im geschlossenen DDR-Jugendwerkhof einsitzt. Hierzu wurde eng mit ZeitzeugInnen und der Autorin zusammen gearbeitet.

Seine Philosophie lässt das Theaterensemble im von Jacqueline Frittel selbst geschriebenen Stück „Street. Art“ (2011) von einer der Figuren definieren, die die Kunst als „Leben ohne Maske“ beschreibt, denn „die Kunst des Spielens – und des Lebens – besteht laut Jaqueline Frittel darin, hinter die Masken zu blicken und so ein bisschen Wahrheit zu erkennen.“

„Im sozialen Kontext arbeiten“

Für ein gutes Spiel müssen nicht nur Form und Inhalt aufeinander abgestimmt sein, wichtig ist auch die Interaktion der Menschen. Für die Gruppe gilt dabei das Motto „Scheitern als Chance“, denn entscheidend für das Zusammenspiel sei Vertrauen. Darum steht am Anfang eines Projekts Ensemblefindung und Hemmschwellenarbeit auf dem Programm. Es wird viel experimentiert und improvisiert, die Beteiligten äußern ihre Wünsche und testen verschiedene Schauspielmethoden.

Gemeinsam mit geistig behinderten Jugendlichen der Pestalozzi-Schule Rastatt wurde 2015 „Farm der Tiere“ einstudiert und aufgeführt. Gerade bei solchen Kooperationen ist die Vertrauensarbeit wichtig. Genauso beim Stück „Sternschnuppenzeit“ (2015), bei dem das Theater mit der Annur Moschee zusammen arbeitete, um Arabisch zu lernen, aber auch einen Einblick in den Islam und das Alltagsleben von Muslimen zu bekommen. Hierbei seien auf beiden Seiten Vorurteile abgebaut worden, gegenüber der fremden Religion auf der einen und freier Kunst auf der anderen Seite. Diese Konfrontation helfe dabei, sich in eine Rolle hineinzuversetzen. „Wir erschaffen uns einen zweiten inneren Freund, den man mit sich herumträgt auch über das Projekt hinaus“, beschreibt Tamino. Für die Schauspielerin Anna ist „Theater ein Riesenspielplatz, auf dem man machen kann, was man will“ und wieder lerne, Kind zu sein. Die Theatergruppe sei wie eine kleine Familie, mit der man zusammen arbeitet.

Vor dem Spiel ist nach dem Spiel

Neben den jährlichen Großprojekten macht das Ensemble auch kleinere Jugendproduktionen, spielt auf Theaterfestivals und bietet Workshops für EinsteigerInnen an. Zudem gibt es regelmäßig ein offenes Improvisationstheater, bei dem gemeinsam mit den BesucherInnen gespielt wird.

Aktuell wird parallel an verschiedenen Inszenierungen gearbeitet. „Schulgeschichten“ wird autobiographisch gemeinsam mit SchülerInnen entwickelt. Dazu wurden 13 neue SchauspielerInnen durch Workshops gewonnen. Das Stück behandelt Themen rund um den Schulalltag wie Leistungsdruck, Eltern-Perspektiven und Mobbing.
Zudem ist ein Stück mit Flüchtlingen geplant, für das momentan noch nach Sponsoren gesucht wird, nachdem bereits Workshops für Flüchtlinge mithilfe von Diakonie und Caritas gemacht wurden.

Beim zweiten Projekt mit der Pestalozzi-Schule geht es auf Wunsch der SchülerInnen um das Thema Liebe. Mit wechselnden Rollen erzählen die 14 DarstellerInnen von „Undine“, einem Wassergeist, der lieben möchte wie Menschen. Das Stück wird im Mai 2016 aufgeführt.
Im Februar 2016 wird aufgrund der starken Nachfrage “Sternschnuppenzeit“ wiederaufgenommen, das das aktuelle Thema Flucht aus einer anderen Perspektive beschreibt. Denn es ist Krieg in Deutschland. Eine Familie wird auseinander gerissen. Die Krankheit der jüngsten Tochter zwingt sie zur Flucht nach Tunesien, die älteste Schwester will ihrem Vaterland treu sein und bleibt. Während sich die jüngste erholt und schnell in der neuen Heimat einfindet, haben ihr Bruder, in Trauer um den auf der Flucht gestorbenen Freund, und die mittlere Schwester, die die zurückgebliebene große Schwester vermisst, Schwierigkeiten sich zu integrieren.

Theater lebt vom Mitspielen

Seit 2013 hat sich das Theater zunehmend professionalisiert, auch was die Akquirierung von Geldern für Produktionen angeht. Finanzielle Unterstützung erhält es vor allem von der Stadt Rastatt und der Sparkasse als Sponsor sowie von Stiftungen. Trotzdem reicht es zusammen mit den unkalkulierbaren Ticketeinnahmen kaum, um die Kosten der aufwändigen Inszenierungen zu decken. Das Theater freut sich daher über Spenden.

Darüber hinaus wünscht sich das Theater Kontakt zu interessierten und motivierten LehrerInnen für Theaterbesuche und Themenaustausch mit Schulen.
Aktiv mitmachen kann man auf verschiedenste Weisen. Gesucht werden SchauspielerInnen, aber auch Menschen, die sich um die Maske, Technik, Soufflage, Kostüme und Bühnenbild kümmern oder beim Bewerben der Stücke mithelfen. Für die Gruppe gilt: „Theaterspielen kann jeder“.

Wer mehr über das Theater erfahren oder Kontakt aufnehmen möchte, findet es im Internet bzw. auf Facebook.

Jugendtheater Rastatt

Wir sind die eigenständige Jugendabteilung des Theater-Vereins-Reithalle e.V. in Rastatt. Das Jugendtheater wird durch den jährlich gewählten Jugendbeirat repräsentiert.

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jugendbeirat@ensemble99.deZur Webseite

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