Beiträge für eine Lebendige Streitkultur in Karlsruhe

Stadtleben

Eine Politik der Zukunft gestalten

Einladung zur Diskussion

Welche Elemente kennzeichnen die Politik der Zukunft? (Grafik: Benedict Holbein)

Die Druckschrift soll auch ein Ort der Debatte sein. Dieser Beitrag ist keiner von Wissenden oder gar Expert*innen, sondern ein Beitrag von Fragenden und Suchenden. Antworten und Anregungen sind willkommen. Er ist eine Einladung zur Debatte an Parteien, Verbände, Gruppen, Initiativen und Einzelpersonen, eine Politik der Zukunft zu gestalten. Umfang und Dauer des Austauschs sind offen und – natürlich – abhängig von Interesse und Beteiligung.

Die Stadt rückt verstärkt in den Fokus politischer Auseinandersetzungen. Sie ist der Ort, an dem sich die neoliberale Globalisierung lokalisiert und materialisiert. Hier müssen Herausforderungen globalen Ursprungs, wie die Unterbringung und Integration von Kriegs- und Armutsflüchtlingen, gelöst werden, hier leben die Menschen, deren Existenzgrundlagen und Würde durch den Umbau des Sozial- in einen nationalen Wettbewerbsstaat angegriffen wurden. Hier müssen folglich auch die Grundlagen und Bedingungen für ein gutes Leben geschaffen werden. Gefragt sind Ideen, die Politik der Zukunft zu gestalten.

Neoliberale Stadtpolitik gefährdet den sozialen Frieden

In den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten war die Politik des Karlsruher Rathauses darauf ausgerichtet, den städtischen Raum als Arena wirtschaftlichen Wachstums zu begreifen und entsprechend zu strukturieren. Die Stadt wurde zur Marke, Karlsruhe zur TechnologieRegion im (globalen) Wettstreit mit anderen Regionen. Zur neuen Stadtarchitektur gehörten infrastrukturelle Projekte wie der Bau der Neuen Messe in Forchheim, die Beteiligung am Baden-Airpark und der mit der „Demokratie-Gurke“ ausgezeichnete Bau der U-Strab, genauso wie die Zurichtung der Innenstadt auf kontrollierten Konsum durch das Räumen eines Häuserkarrees samt Schule, Theater, Kulturzentrum und Obdachlosenunterkunft, damit dort das ECE-Center gebaut werden konnte, die Umwidmung der Post am Europaplatz zur Shopping Mall und die Etablierung von Kameraüberwachung in den Straßenbahnen. Kultur wurde und wird in diesem Verständnis weitestgehend als Faktor des Stadtmarketings gedacht und behandelt, studiert wird an der (Ex-)Elite-Uni und gewohnt im neuen Quartier „Upper East“.
Flankiert wird diese Politik, die auf fast symbiotische Interessen der Wirtschaft trifft, von Sparprogrammen, die der Leitdoktrin von der „Schuldenbremse“ folgen und den Kommunen die Handlungsspielräume verengen. In Karlsruhe heißt das Programm dieser Sparpolitik „Prozess zur Haushaltsstabilisierung“.

Unterm Strich verringert die neoliberale Politik im städtischen Raum – mit dem Abbau von „freiwilligen Leistungen“, der Privatisierung öffentlicher Räume und der Ausdünnung von öffentlichen Versorgungsleistungen – Möglichkeiten von Begegnung und Teilhabe.

Sie gefährdet den sozialen Frieden. Denn die Folgen dieser Politik sind ein Anwachsen der sozialen Unterschiede. Verdrängung und kaum verfügbarer günstiger Wohnraum bergen erheblichen sozialen Sprengstoff. Flüchtlinge drohen zum Sündenbock von Problemen zu werden, die von der Politik Jahrzehnte ungelöst vor sich hergeschoben wurden.

Politik ist nicht, sie wird gemacht

Die neoliberale Politik bietet keinen plausiblen Weg in die Zukunft. Alternativen – Fehlanzeige. Linken Parteien und sozialen Bewegungen, die Träger*innen eines solchen Transformationsprozesses sein könnten, fehlt das Schlüsselelement einer solchen Strategie: Ein linkes Gesellschaftskonzept, das eine Idee vom „Öffentlichen und Gemeinen“ formuliert. Ein solches Konzept könnte der Rahmen sein, in dem eine Politik – auch und gerade auf kommunaler Ebene – zur Beförderung politischer, ökonomischer und sozialer Gleichheit, zur Orientierung auf das Gemeinwohl und zur Teilhabegerechtigkeit in elementaren Lebensbedingungen erwachsen könnte.

Trotz Ermangelung „einer großen Idee“ haben verschiedene Initiativen in Karlsruhe in der Auseinandersetzung mit der neoliberalen (Stadt-)Politik, auf verschiedenen Feldern Ansätze einer alternativen Politik des „Öffentlichen und Gemeinen“ entwickelt. Sie widersetzen sich der Realität und versuchen, eine Politik der Zukunft zu gestalten. Darüber sollten wir reden und schreiben – ohne Angst, unbefangen, widersprüchlich, bruchstückhaft und unvollkommen.

Die Diskussion um das Öffentliche und Gemeine eröffnen

Wer gestaltet die Politik der Zukunft? (Grafik: Benedict Holbein)
Wer gestaltet die Politik der Zukunft? (Grafik: Benedict Holbein)

Karlsruhe erlebt gerade einen kleinen Aufbruch der Sozialproteste: Gegen die Politik des Sparens versammelten sich von den Maßnahmen Betroffene, politische, soziale und kulturelle Einrichtungen und Organisationen, Parteien und Gewerkschaften. Ihnen gemein ist das „Nein!“ zu dieser Politik. Die hier angestoßene Debatte soll genau daran anknüpfen und darüber hinaus gehen. Das schließt die Absicht ein, eine zwangsläufig abstrakte Debatte möglichst nah an die lokale Realität heranzuholen. Die folgenden kurzen Gedankenskizzen sollen das Feld der Diskussion eröffnen, aber keinesfalls ein Hemmnis darstellen, andere Debattenstränge zu knüpfen oder diese zu kombinieren.

Ein Ansatz, eine Politik der Zukunft zu gestalten, stellt der neoliberalen Politik des Privaten und der Privatisierung das „Öffentliche“ entgegen. Öffentliche Güter, öffentliche Daseinsvorsorge, öffentliches Eigentum und öffentliche Beschäftigung sind Begriffe und Erscheinungsformen des „Öffentlichen“. Das „Öffentliche“ wird konzeptionell als staatlich besessen, verwaltet und gelenkt gedacht. Die qualitative Ausprägung des „Öffentlichen“ ist dabei das Ergebnis von gesellschaftlichen Kämpfen und Kräftekonstellationen. Die Auseinandersetzung um das Sparen bei sozialen und kulturellen Trägern in Karlsruhe oder auch die um die Privatisierung der Wäscherei im Städtischen Klinikum sind solche Auseinandersetzungen um die Qualität des „Öffentlichen“. Dieser Ansatz, eine Politik der Zukunft zu gestalten, ist anschlussfähig – im Allgemeinen, weil dessen Mechanismen und Wirkungsweisen vertraut sind, und im Speziellen für die politische Linke, weil er die (Klassen)Unterschiede, die die gesellschaftliche Verfasstheit im Kapitalismus mit sich bringt, mitdenkt. Dennoch ist es (noch) nicht gelungen, dieses „Öffentliche“ in eine Perspektive für ein progressives, linkes Projekt zu überführen. Fragen der Demokratisierung der Herrschaft und auch der Reichweite des „Öffentlichen“ sind unbeantwortet. Die kommunale „Magna Charta“ und der Weg dorthin müssen noch erdacht werden.

Ein anderer Ansatz, eine Politik der Zukunft gestalten, setzt an den Punkten an, an denen sich die (kommunalen) Regierungen als schlechte Treuhänder der Dinge erwiesen haben, die ihnen anvertraut wurden. Menschen stehen auf und sagen, „das ist unseres, und wir wollen darüber entscheiden“. Gerade die kommunale Ebene eignet sich für solche Aneignungsprozesse, die auf selbstbestimmten Engagement gründen. Auch in Karlsruhe gibt es Initiativen, die (mitgedacht oder nicht) einem solchen Ansatz folgen. Im Bereich des Wohnens gilt dies etwa für die MieterInneninitiative Karlsruhe eG (MiKa) in der Nordstadt oder das Mehrgenerationenwohnprojekt „Quartier am Albgrün“, im Bereich der erneuerbaren Energien für die Bürgerenergiegenossenschaft Karlsruhe Ettlingen eG oder auf dem Feld der Arbeit für selbstverwaltete Betriebe wie die DruckCooperative. Auch die Idee (und andernorts die Praxis) von Bürgerhaushalten geht auf diesen Ansatz zurück. Diesen Projekten und Prozessen ist gemein, dass sie die Partizipation und die Bestimmung der Sozialbeziehungen zum Projektgegenstand in den Mittelpunkt rücken. Hierdurch wird eine Sache oder eine Dienstleistung etwas Gemeines, ein „Common“. Die Idee der „Commons“, sich jenseits von Staat und Markt zu positionieren, birgt eine große Anziehungskraft, aber auch die Gefahr, zu einer autonomen Veranstaltung außerhalb der Gesellschaft zu verkommen.

Politik ist sicherlich kein Wunschkonzert, die Diskussion, eine Politik der Zukunft zu gestalten hingegen schon! Schreibt Konkretes, Utopisches, Abstraktes, Projektbezogenes, Großes und Kleines an: redaktion@druckschrift-ka.de. Vielleicht entsteht sie so – aus dem Puzzle der unterschiedlichen Beiträge und Stimmen – die Politik der Zukunft.

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