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Arbeitswelt

Wissenschaft auf Zeit

KIT: Prekärer Beschäftigung in der Forschung

Studium abgeschlossen – und jetzt?
Promotion und Forschung oder Arbeiten in der Industrie, das ist die Wahl, der sich Absolventen in natur- oder ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen stellen müssen. Konnten sich die Absolventen früher zwischen einem sicheren Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst oder einen besser bezahlten, weniger sicheren Job in der Industrie entscheiden, war es also eine Prioritätenfrage, so hat sich die Situation durch die steigende Zahl befristeter Arbeitsverträge an Universitäten und Forschungseinrichtungen in den letzten Jahren deutlich verschoben. Die Befristungsquote insgesamt stieg im bundesweiten Mittel von 7% im Jahre 1991 auf 9,5% in 2008 an. Im öffentlichen Dienst waren 2010 von den 4,6 Mio. Beschäftigten sogar über 15% in befristeten Arbeitsverhältnissen. An Hochschulen war die Quote mit 45% noch höher (stat. Bundesamt 2011). Dabei sind gerade junge Beschäftigte von befristeten Verträgen betroffen.

Hochqualifiziert, aber unsicher beschäftigt

Von den 20- bis 30-jährigen Wissenschaftlern haben mehr als ein Drittel einen befristeten Vertrag, bei den gleichaltrigen Wissenschaftlerinnen sind es sogar fast 40%. Dabei sind knapp 75% dieser Verträge auf unter zwei Jahre befristet (Quelle: stat. Bundesamt Wiesbaden 2010).

Diese Bedingungen machen eine Lebens- und Familienplanung unmöglich und schrecken vor größeren Ausgaben ab. Mit der ständigen Angst der Beschäftigungslosigkeit im Nacken gelingt vielen ehemaligen Studierenden der Sprung ins richtige Leben nicht. Doch nicht nur für den privaten Bereich, auch für die Arbeit selbst stellt die unsichere Arbeitssituation ein Hemmnis dar. Anstatt den Fokus auf die Forschungsthemen und deren Bearbeitung zu legen, muss ein großer Teil der Zeit auf das Einspielen von Geldern verbracht werden, was nicht selten dazu führt, dass die Promotion auf der Strecke bleibt. Hinzu kommt, dass die Verträge, die meist durch Drittmittelprojekte finanziert werden, oft von vorneherein nicht ausreichend Zeit geben, um Promovierenden den adäquaten Abschluss ihrer Forschungsarbeit zu erlauben. In einigen Fällen kommt es sogar vor, dass die, in der Regel auf zwei bis drei Jahre angelegten Projekte aufgrund von Geldmangel oder mangelhaften Zwischenevaluierungen frühzeitig beendet werden. Wenn dann nicht schnell ein Alternativprojekt gefunden wird, ist die verbleibende Promotionszeit ohne Finanzierung, was im schlimmsten Fall sogar deren Abbruch bedeutet.

Wissenschaft in Karlsruhe

Am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), mit seinen über 9400 Mitarbeitern einem der größten Arbeitgeberin der Region und der Arbeitsplatz der meisten wissenschaftlichen Angestellten in Karlsruhe (etwa 7300 in Forschung und Lehre) sind die Zahlen befristeter Arbeitsverhältnisse noch höher. Laut Verdi-Betriebsgruppe des KIT waren im Jahr 2010 90% der Wissenschaftler im Universitätsbereich am Campus Süd und 54% der Wissenschaftler des Großforschungsbereichs Campus Nord mit befristeten Verträgen ausgestattet.

Für eine Forschung zum Wohl der Allgemeinheit

Viele Studienabsolventen entscheiden sich bewusst für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst, weil sie das Bedürfnis haben, ihre Ausbildung für das Wohl der Allgemeinheit einzusetzen und, mit der wissenschaftlichen Freiheit und Unabhängigkeit ausgestattet, sich in gesellschaftlich wichtigen, aber marktwirtschaftlich unrentablen Forschungsfeldern zu engagieren. Angesichts der großen technischen Herausforderungen unserer Zeit, wie beispielsweise dem Klimawandel und der Energieversorgungs-Problematik sind junge, motivierte Forscher wichtiger denn je, die ein gewisses Maß an Idealismus mitbringen. Diesen Zielen wird durch die Befristungspolitik eine große Hürde in den Weg gelegt und bringt immer mehr Nachwuchswissenschaftler dazu, sich gegen ihre Überzeugung und für eine kalkulierbarere Beschäftigung in der freien Wirtschaft zu entscheiden. (bh)

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