Die Jahre der Krise und der Sparpolitik haben weite Teile der griechischen Bevölkerung verarmen lassen. Aufgenommene Kredite lasten nahezu auf jedem Haushalt und können in der Regel längst nicht mehr bedient werden. In ländlichen Gegenden wissen die Menschen oft nicht, wovon sie ihren Lebensunterhalt bestreiten sollen. Ohne Geld fehlt ihnen der Zugang zur Gesundheitsversorgung, können weder die Ausbildung der Kinder noch Strom und Wasser bezahlt werden. Mit dem Rücken zur Wand verfängt die Korruption. Nicht selten erfordert das Überleben die Zahlung von Schmiergeldern („Fakelaki“*). Wer sich diese Form der Korruption nicht leisten kann, ist raus.
„Hotel“ nennen Maroula, 33 Jahre, und Athanasios, 36 Jahre, ihre obdachlosenrechtliche Unterkunft im Karlsruher Stadtteil Grünwinkel. Dort leben sie seit Ende Juli 2014 in einem kleinen Zimmer, dort erzählen sie mir ihre Geschichte.
Sie beginnt in der Nähe von Serres im Norden Griechenlands, nahe der Grenze zu Bulgarien, wo Maroula und Athanasios in einer dörflichen Gemeinschaft wohnten. Sie und ihre Familien hatten nicht viel zum Leben. Mehr als kleine Gelegenheitsjobs in der Nachbarschaft oder als Erntehelfer gab es nicht. Und auch diejenigen, die sie mit den Arbeiten beauftragt hatten, hatten kaum das Geld, um sie dafür zu entlohnen. Im Winter verdiente Athanasios ein paar Euros dazu, in dem er illegal geschlagenes Holz an ältere Dorfbewohner verkaufte. Das Geld reichte jedoch fortlaufend mehr schlecht als recht, um genug auf die Teller zu bekommen.
Ohne Aussicht auf Besserung ließen sich Maroula und Athanasios im Frühjahr 2013 über eine private Agentur in Thessaloniki eine Arbeit als Küchenhilfen vermitteln. Die Vermittlungstätigkeit kostete insgesamt € 900,- und umfasste nicht mehr als die Weitergabe der Adressdaten einer griechischen Sportgaststätte in der Nähe von Karlsruhe**. Die Beschäftigung und Unterbringung der beiden lief informell – ohne schriftliche Verträge. Ihre Arbeitszeiten waren angepasst an die Öffnungszeiten des Restaurants. Die tatsächliche Arbeitsleistung summierte sich nach ihren Angaben auf über 70 Wochenstunden. Anspruch auf freie Tage oder Urlaub bestand nicht. Die abverlangten Arbeiten reichten von Arbeiten in der Küche bis hin zur Reinigung der Toiletten. Arbeitskleidung wurde keine gestellt, ein Gesundheitspass wurde nicht verlangt. Als Lohn sollten Sie je € 900,- brutto im Monat bekommen. Da der Restaurantbesitzer für sie ein Kellerzimmer im Ort zur Unterbringung angemietet hatte, wurden vom Lohn pro Person € 100,- für die Miete einbehalten. Aus dem verbliebenen Bruttolohn“ von € 800,- wurden „netto“ € 600,-, die ihnen bar ausbezahlt wurden.
Dieses „Beschäftigungsmodell“ sei bei griechischen Gastwirten in Deutschland nicht ungewöhnlich, sagten Maroula und Athansios. Sie gaben an, dass auch bei anderen griechischen Restaurants in der Karlsruher Innenstadt Menschen zu ähnlichen Bedingungen beschäftigt werden. Die grenzenlose Ausbeutung knüpft dabei an die Not der Arbeitssuchenden, deren Unkenntnis der rechtlichen Lage sowie der meist gegebenen Sprachbarriere an. Fällt einer dieser Anknüpfungspunkte weg, droht das System zu implodieren.
„Die grenzenlose Ausbeutung basiert auf der Not der Arbeitssuchenden, deren Unkenntnis der rechtlichen Lage sowie der meist gegebenen Sprachbarriere.“
So auch in ihrem Fall. Zu rumoren begann es, als Maroula und Athanasios anfingen, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Eilig wurden deshalb die Bedienungen des Restaurants vom Betreiber des Restaurants mit einer „Kontaktsperre“ belegt. Die Situation spitzte sich weiter zu, als eine Frau aus dem Dorf den beiden ihre Unterstützung signalisierte. Der Restaurantbesitzer fürchtete das aufkommende Gerede im Dorf und Maroula und Athanasios hatten nicht die Absicht, sich länger in diesem Maße ausbeuten zu lassen. Sie berichteten daher von einer Übereinkunft, wonach ihnen der Besitzer im Mai 2014 ihre Arbeitspapiere ausstellen und ihnen die Gelegenheit zur Arbeitssuche bzw. Meldung bei der Agentur für Arbeit geben wolle. Doch sie erhielten weder die vereinbarte Zeit noch die Papiere. Stattdessen eröffnete ihnen ihr Arbeitgeber am 26.Mai.2014, dass sie am folgenden Tag von der Arbeit entlassen seien und ihr Kellerzimmer unverzüglich zu verlassen hätten. Ohne Ihr Wissen und ohne Ihre Zustimmung hatte er sie auf dem Amt abgemeldet und dort behauptet, sie seien zurück nach Griechenland gegangen. Mit Hilfe ihrer Unterstützerin aus dem Dorf nahmen Sie am 03.06.2014 Kontakt zu einer Rechtsanwaltskanzlei in Karlsruhe auf und reichten Klage gegen Ihren Arbeitgeber ein. Der Ausgang des Prozesses Mitte Juli 2014 sah vor, dass der Arbeitgeber zur Erstellung und Herausgabe der Arbeitspapiere sowie zur Leistung einer geringfügigen Abschlagszahlung an die beiden verpflichtet wurde.Ihre Wohnung mussten sie jedoch unterdessenverlassen. Den Drohungen des Eigentümers der Wohnung sowie des Restaurantbetreibers hielten sie nicht stand. Ab dem 09.06.2014 waren sie obdachlos, lebten auf der Straße und nächtigten in einem Park in Ettlingen. In dieser Zeit bestritten sie ihren Unterhalt durch das Sammeln von Pfandflaschen. Unter diesen schwierigen Bedingungen knüpften sie Kontakte zu den Karlsruher Beratungsstellen „Ikarus – Arbeit und Soziales e.V.“ und „Sozpädal – Sozialpädagogische Alternativen e.V.“ sowie zum „Diakonischen Werk Karlsruhe“. Am 24.07.2014 bezogen Maroula und Athanasios ihr Zimmer im „Hotel“ in Grünwinkel.
Die beiden verfügen über eine Würde bewahrende Geduld und Gelassenheit. Sie besitzen die Fähigkeit, die erfahrenen Demütigungen zu reflektieren und für ihre Zukunft zu kämpfen. Seit Dezember 2014 besuchen die beiden einen Deutschkurs. Sie suchen eine Wohnung und Arbeit. Ihre Geschichte ist noch nicht zu Ende. (jk)
*Fakelaki = Umschlägchen. Darin werden die Schmiergelder häufig überreicht.
**Der Name des Restaurants sowie der des Betreibers sind der Redaktion bekannt. Maroula und Athanasios sammeln noch heute Pfandflaschen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.