Beiträge für eine Lebendige Streitkultur in Karlsruhe

Stadtleben

Große Bäume werfen lange Schatten

Zwei Repliken auf die Luther-Kritik

Die folgenden Stellungnahmen sind Reaktionen auf den Beitrag Keiner von uns – Kritische Einwürfe zum historischen Luther

Luther und die Juden

Eine Stellungnahme von Dekan Dr. Thomas Schalla

Luthers Verhältnis zu den Juden hat sich im Laufe seines Lebens gewandelt. Ein Freund der Juden war er nie, aber zu einem Gegner wurde er erst in seinen späten Lebensjahren.  Juden wurden im Mittelalter in der Mehrheitsgesellschaft Europas nur am Rande geduldet. Oft wurden sie verfolgt, Rechte wurden ihnen in der Regel nicht zugestanden. Es gab einen breiten „Konsens“ der Ausgrenzung von den Humanisten über die Katholische Kirche bis zu den Anhängern Luthers.

Luther war ein Kind des Mittelalters und äußerte sich gleichwohl in seinen frühen Schriften erstaunlich differenziert: Juden wollte er einen gleichrangigen Platz in der Gesellschaft einräumen. Weil Jesus selbst ein Jude gewesen war, haben die Bürger jüdischen Glaubens auch ein Recht auf Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.  Im homogenen christlichen Weltbild des Mittelalters war Luthers Position revolutionär. Es ging ihm um die Bedeutung des Glauben, auch in der Beurteilung der Juden. Er argumentierte, dass die Menschen allein durch den Glauben an Gottes Gnade gerettet werden können, nicht durch eigene Anstrengungen. Darum kritisierte er die Juden ebenso wie die Papstanhänger als Vertreter einer falschen Werkgerechtigkeit.

In dem Maß, in dem sich die protestantische Bewegung zur staatstragenden Organisation weiterentwickelte, änderte sich auch Luthers Denken. In seinen späten Jahren schloss er sich um eines homogenen Corpus christianums willen umso radikaler den restriktivsten und destruktivsten Praktiken des Mittelalters an: Synagogen und Wohnhäuser sollten zerstört, Bibeln verbrannt, Juden am besten des Landes verwiesen werden.

Luther war kein Antisemit, aber er hat den christlichen Antijudaismus seiner Zeit geteilt. Dies bleibt eine dunkle Seite des Reformators und eine schwere Hypothek der reformatorischen Bewegung bis heute. Dass selbst nationalsozialistische, fremdenfeindliche oder antisemitische Ideologien Anknüpfungspunkte bei Luther finden, ist beschämend. Die Erinnerung an die Reformation darf das nicht ausblenden, und sie geht auch in diesem Jahr darüber nicht hinweg. Die Kirche hat Schuld auf sich geladen und Anteil am Unrecht, das Menschen jüdischen Glaubens angetan wurde und wird. Die Auseinandersetzung mit Martin Luther soll deshalb auch dazu führen, seine dunklen Seiten zu benennen. Sie muss die Verantwortung der Kirche und der Theologie für Menschenwürde, Toleranz und gegenseitigem Respekt in der Gestaltung des Miteinanders herausarbeiten.


Große Bäume werfen lange Schatten

Eine Stellungnahme von Dr. Ullrich Lochmann zum Lutherjahr

Als lutherisch getaufter protestantischer Theologe erlebe ich dieses Lutherjahr in seiner ganzen Zwiespältigkeit: Zwischen Kommerz und neuen Entdeckungen von Luthers befreiender Theologie, aber auch mit einer zu Teilen fragwürdigen Praxis. Vom „Wutbürger“ (Spiegeltitel) zum Gutbürger (Karlsruher Büsten) reichen die Würdigungen. Mich bringt das Jahr zur Wieder-Lektüre seiner Schriften.

In der badischen Landeskirche werden viele Vorträge, Konzerte, Stücke zum Thema angeboten, auch über die kritischen Seiten des Reformators. Unter www.reformation-baden.de finden sich beispielsweise folgende Themen:  „Reformation und Menschenwürde“ (Vögele), „Reformation und Toleranz“ (Stössel), „Zwischen Freiheit und Befangenheit“, „Martin Luther und die Juden“ (Maaß), „ Spuren der religiösen Judenfeindschaft von der Reformation bis in die Gegenwart“ (Lohrbächer) oder „Die Täufer und die Reformation – die Entwicklung eines Konflikts und seine Auswirkung im Kraichgau bis heute“ (Schneider).

Meines Erachtens ist manche Äußerung Luthers als Schandfleck unserer eigenen Geschichte zu benennen und lässt sich auch nicht als zeitbedingt entschuldigen. Erasmus von Rotterdam etwa hatte eine viel eher christlich-pazifistische Einstellung zum Krieg; Luthers Beschützer Friedrich der Weise war gegen die Vernichtung der Bauern; die beginnende Demokratisierung in den Städten half zwar der Reformation, war aber dem alten, auch theologisch begründeten Obrigkeitsdenken Luthers fremd.

Die bis heute unverbrauchte und immer notwendige Rede Luthers von der befreienden Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen und gegen alle Arten von religiöser Abzocke ist aber das Wichtigste. Große Bäume werfen lange Schatten. Schade nur, wenn man vor allem die Schatten betrachtet.

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