Fürs Leben bleibt ihnen nicht viel, den 40% der Mieter*innen in deutschen Großstädten, die laut der jüngst veröffentlichten Studie der Hans-Böckeler Stiftung über 30% ihres Nettoeinkommens für die Bruttokaltmiete ausgeben müssen. In Karlsruhe betrifft das 38,5% der Einwohner*innen, für 17,8% der Karlsruher*innen sind es sogar über 40%. Dabei sind sich Sozialwissenschaftler*innen, Immobilienexpert*innen und Vermieter*innen einig, dass eine Mietbelastung ab 30% problematisch ist, da sie nur noch wenig Geld zur Lebensführung lässt und selbst die dauerhafte Mietfinanzierung gefährdet ist –zumal zumeist einkommensschwache Haushalte betroffen sind.
Die an der Studie beteiligten Forscher*innen ziehen ein deutliches Fazit, nämlich, dass die sozialpolitischen Ansätze in Deutschland, beim Wohnen Einkommensunterschiede zu mindern, weitgehend aufgelöst wurden und Wohnbedingungen stattdessen zur wachsenden sozialen Ungleichheit beitrügen.
Auch Abseits des Blicks auf die prekäre Situation der Mieter*innen offenbart sich die strukturelle Entwicklung in Karlsruhe. Restaurants und Geschäfte geben sich die Klinke in die Hand ob der hohen Ladenmieten. Der Einzelhandel stirbt nach und nach, dafür schießen die Großketten – Primark, Kentucky-Fry-Chicken, Ikea und Co – wie Pilze aus dem Boden. Die Stadt brüstet sich mit hunderten Millionen schweren Prestigeprojekten wie der Kombilösung oder dem Stadionbau. Den Wohnungsbau überlässt sie Privatinvestoren. Es entstehen überteuerte, sterile Luxusstadtteile wie die Südoststadt.
Das Recht auf Wohnen wird niemandem geschenkt
Nicht, dass Wohnen kein präsentes Thema wäre, allein die guten Nachrichten fehlen.
Vielmehr sind es Meldungen über verpasste Chancen, Bauflächen für bezahlbaren Wohnraum zu nutzen, wie etwa beim Areal C, bei dem ein Privatinvestor nun auf satte Spekulationsgewinne hoffen darf. Beim Areal südlich davon ist noch alles offen, die hohen Grundstückspreise lassen jedoch nicht auf eine Bebauung mit günstigem Wohnraum hoffen. Hier ist gesellschaftliche Einmischung gefragt!
Kulturelle Freiräume wie die Ateliers hinterm Hauptbahnhof weichen Bürogebäuden von 1&1. Mietspiegelanpassungen und Modernisierungen führen indes zu einem stetig steigenden Mietniveau. Der Sachstandsbericht Wohnen von 2015 führte die Entwicklung auf die Zunahme von Immobilieninvestitionen als stabile Anlagemöglichkeit in der Finanzkrise mit der Folge steigender Mietpreise zurück. Ein Ende ist jedoch nicht in Sicht und mehr als zwei Drittel des Wohnraums ist privat. Schlechte Aussichten für die 80% der Karlsruher*innen, die zur Miete wohnen. Aber immerhin haben sie ein zuhause, denn die Zahl der Wohnungslosen hat sich in den letzten 3 Jahren verdoppelt. Um den Wohnungsmarkt zu entspannen, bräuchte Karlsruhe rund 20.000 zusätzliche Wohnungen, inklusive Fortschreibung des Flächennutzungsplans ist nur Raum für 12.000. Mutiges Handeln, das Zulassen kreativer Ansätze und der politische (Durchsetzungs-)wille für bezahlbaren Wohnraum sind unabdingbar.
Sozialer Wohnungsbau und Gentrifidingbums
In unserem Schwerpunkt greifen wir das Thema Wohnen dieses Mal breiter an. Wir schlüsseln auf, wie Wohnungsbau – im speziellen sozialer Wohnungsbau – funktioniert und wo es Möglichkeiten gibt, Einfluss zu nehmen. Dass die rechtliche Basis äußerst flexibel ausgelegt werden kann, zeigt sich, wenn Jahrzehnte alte Bebauungspläne, zu Gunsten von Investoren umgeworfen werden oder, wie im Falle des Franz-Rohde Hauses, kurzerhand der Denkmalschutz gekippt wird. Was entsprechender politischer Wille alles möglich macht…
Am Beispiel Durlach zeigen wir den Ablauf eines abgeschlossenen Strukturwandels auf, wie er sich an vielen Orten in ähnlicher Weise in Karlsruhe momentan vollzieht. Das Beispiel der österreichischen Stadt Graz zeigt, dass eine sozialere Wohnungspolitik funktionieren kann. Als Alternative zum individuellen Mietverhältnis, bieten Wohngenossenschaften eine sicherere Perspektive für deren Mitglieder*innen. Aber auch Wohnprojekte stellen eine Nische für Menschen dar, um sich dem harten Wohnungsmarkt zu entziehen.
Auf unserer Debattenseite geben wir Stimmen einen Platz, die für den Kampf um Wohnraum stehen: Mieter*innen, die von Kündigung bedroht sind, resignierten Initiator*innen eines innovativen ökologischen Wohnprojekts, die in Karlsruhe keinen Platz fanden, und Menschen, die mit ihrer Besetzung für den Erhalt eines historischen Gebäudes einstehen.
Denn, was dem vollkommenen Wandel hin zur Wohn-Exklusivität für Vermögende entgegensteht, sind all die Mieter*innen, die im Kündigungsfalle nicht kampflos ausziehen, jede genossenschaftliche Organisation und jede Aktion des Widerstands, die der Stadt ein Stück Lebenswert und Erschwinglichkeit erhalten.
Denn es darf nicht vergessen werden, dass die prekäre Wohnsituation eng verbunden ist mit prekären Arbeitssituationen. Es sind diejenigen, die Stadt am Laufen halten: Im Service, in der Gastronomie, im Verkehr, der Bildung, der Betreuung, der Medizin, im Einzelhandel…, die sich ein Leben hier kaum mehr leisten können. Wehe, wenn sie sich organisieren.